Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 1174
Die bloße Duldung der Versammlungsleitung durch eine hierzu nicht ordnungsgemäß berufene Person führt nach einer Ansicht zu Anfechtbarkeit. Überwiegend wird Nichtigkeit angenommen (vgl. §§ 130 Abs. 2, 241 Nr. 2 AktG), weil es an der für die wirksame Beschlussfassung notwendigen Feststellung des Beschlussergebnisses durch den richtigen Versammlungsleiter fehlt. Anders ist es nur, wenn ausnahmsweise die Regeln des faktischen Organs greifen. Wenn die Satzung den Aufsichtsratsvorsitzenden zum Versammlungsleiter bestimmt, sei dieser nach Ansicht des BGH berechtigt, bis zur rechtskräftigen Feststellung, dass seine Wahl unwirksam ist, die Hauptversammlung zu leiten, alle Aufgaben eines Versammlungsleiters wahrzunehmen und auch das Beschlussergebnis nach § 130 Abs. 2 AktG festzustellen. Die Versammlungsleitung als auch die Beschlussfeststellung seien wirksam. Das Interesse der Aktionäre an einer wirksamen Beschlussfassung in der Hauptversammlung gebieten es, ausnahmsweise von der Wirksamkeit der Beschlüsse eines Aufsichtsrats auszugehen, wenn die Wahlbeschlüsse der Aufsichtsratsmitglieder zwar angefochten wurden, über die Anfechtungsklage aber noch nicht entschieden wurde.
Rz. 1175
Zum GmbH-Recht vertritt der BGH die Ansicht, ein solcher Verfahrensmangel führe lediglich zur Anfechtbarkeit. Voraussetzung dafür sei aber, dass der Fehler für die Beschlussfassung relevant sei. Abzustellen sei dabei auf die Relevanz für das Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrecht des Gesellschafters im Sinne eines dem Beschluss anhaftenden Legitimationsdefizits, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzten Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gem. § 243 Abs. 1 AktG rechtfertige. Aufgabe des Versammlungsleiters sei es, für eine ordnungsgemäße, neutrale, sachgerechte und effiziente Erledigung der Versammlungsgegenstände zu sorgen und er nicht kraft seiner Funktion Einfluss auf den Inhalt der Entscheidungen nehmen dürfe. Daraus folge aber nicht, dass bereits die unberechtigte Übernahme der Versammlungsleitung als solche einen relevanten Verfahrensmangel sämtlicher unter dieser Leitung gefassten Beschlüsse darstellt. Vielmehr bedürfe es auch dann eines für die Beschlussfassung ursächlichen oder relevanten Fehlers des Versammlungsleiters bei Durchführung der Versammlung.
Ob diese Überlegungen auf das Aktienrecht übertragen werden können, erscheint im Hinblick auf § 130 Abs. 2 AktG zweifelhaft. Rspr. oder Lit. liegen dazu – soweit ersichtlich – nicht vor. Diese Entscheidung zeigt jedoch, dass der BGH in der Tendenz der Versammlungsleitung durch eine dazu unbefugte Person nur eine geringe Relevanz für die Fehlerhaftigkeit der Beschlussfassung beimisst.