Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 2345
In diesem Abschnitt werden wichtige neue Regelungsbereiche der DRL II vorgestellt und aus Sicht der gesellschaftsrechtlichen Praxis einer Bewertung unterzogen.
1. Präventive öffentliche Kontrolle gesellschaftsrechtlicher Vorgänge
Rz. 2346
Dreh- und Angelpunkt der DRL II ist die Neufassung des Art. 10 GesRRL-E und die darin enthaltene Grundsatzentscheidung des Unionsgesetzgebers für die öffentliche Präventivkontrolle im Europäischen Gesellschaftsrecht (s.u. Rdn 2347 ff.). Hinsichtlich des "Wer" der Eingangskontrolle bestätigt Art. 10 GesRRL-E den seit 1968 geltenden Acquis, wonach die öffentliche Präventivkontrolle durch Gerichte, Behörden und/oder Notare durchzuführen ist (s.u. Rdn 2354 ff.). Darüber hinaus wird der durch die erste Digitalisierungsrichtlinie eingeführte Mindestkontrollstandard in dreifacher Hinsicht ausgeweitet: Gegenständlich erweitert Art. 10 Abs. 2 GesRRL-E den Mindestprüfungskatalog hinsichtlich des Errichtungsaktes bzw. der Satzung und deren Änderung (s.u. Rdn 2359 ff.). Ergänzt wird insoweit Art. 13g Abs. 3 GesRRL. Zu prüfen sind zusätzlich die Einhaltung der notwendigen formalen Anforderungen einschließlich der vorgeschriebenen Mindestangaben. Zudem ist eine vollständige Rechtmäßigkeitskontrolle durchzuführen. Schließlich muss die Einlage im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften geleistet worden sein. Horizontal wird die gegenständlich erweiterte Rechtmäßigkeitskontrolle auf bestimmte Personengesellschaftstypen erweitert (s.u. Rdn 2363 ff.). Vertikal werden nach Art. 13k GesRRL-E nicht mehr nur Onlineverfahren, sondern gleichermaßen Präsenzverfahren erfasst (s.u. Rdn 2370 ff.).
a) Der Grundsatz öffentlicher Präventivkontrolle
Rz. 2347
Mit der Neufassung von Art. 10 GesRRL bestätigt die DRL II die seit 1968 bestehende Grundsatzentscheidung des Unionsgesetzgebers für das Prinzip der vorsorgenden Rechtspflege durch Gerichte, Behörden und Notare.
aa) Anerkennung von Unternehmensinformationen erfordert deren Verlässlichkeit
Rz. 2348
Die verlässliche Präventivkontrolle ist Grundvoraussetzung für das gegenseitige Vertrauen in die Richtigkeit der Registerdaten in allen Mitgliedstaaten, was wiederum Bedingung für die grenzüberschreitende Anerkennungspflicht für Registerdaten ist. Eine Verpflichtung zur grenzüberschreitenden Anerkennung von Registerdaten auf der Basis zu geringer Kontrollstandards brächte die Gefahr eines "entry control shopping" innerhalb der Europäischen Union mit sich. Gesellschaften könnten in den Mitgliedstaaten mit den geringsten Kontrollen gegründet werden und über die Gründung von Tochtergesellschaften oder Zweigniederlassungen unkontrolliert in andere Mitgliedstaaten expandieren. Fehlerhafte Registerdaten aus unzuverlässigen Ausgangsregistern drohten zuverlässige Zielregister zu "infizieren".
Rz. 2349
Eine geringere Registerverlässlichkeit hätte erhebliche Konsequenzen für den europäischen Rechts- und Wirtschaftsstandort: Können sich die Bürger und Unternehmen nicht mehr auf Registereintragungen verlassen, müssen sie auf kostenintensive Rechtsgutachten (legal opinions) zurückgreifen. Die Beteiligten wären gezwungen, ihre Risiken auf die wirtschaftsrechtsberatende Praxis abzuwälzen. Dies würde letztlich zu höheren Transaktionskosten führen – ohne entsprechenden Gewinn an Rechtssicherheit. Denn private Aussteller von legal opinions sichern sich durch weitreichende Annahmen (assumptions), Vorbehalte (reservations) und Haftungsausschlüsse (disclaimer) ab.
bb) Bedeutung verlässlicher Register
Rz. 2350
Demgegenüber steht die Grundsatzentscheidung des Unionsgesetzgebers für die öffentliche Präventivkontrolle im Einklang mit den Traditionen des kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsraums, der für die Sicherheit und Schnelligkeit des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs auf verlässliche und mit gutem Glauben ausgestattete Register setzt. Nur dann, wenn Handelsregister verlässliche Informationen zu den Rechtsverhältnissen von Gesellschaften enthalten, kann der Rechtsverkehr sicher und kostengünstig auf die dort enthaltenen Angaben zurückgreifen. Das gilt insbesondere, wenn ein Handelsregister so verlässlich ist, dass es mit öffentlichem Glauben ausgestattet ist. Unzutreffende Angaben muss die Gesellschaft gegen sich gelten lassen, was für einen Anreiz sorgt, das Register korrekt und aktuell zu halten. Ein verlässliches und daher mit öffentlichem Glauben ausgestattetes öffentliches Registerwesen reduziert Kosten, Zeit und Aufwand für Unternehmen, Verbraucher und andere Interessenträger (Anleger, Gläubiger, Arbeitnehmer) und beseitigt Informationsasymmetrien. Diese Vorteile dürften sich besonders bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zeigen.
cc) Verlässliche Register erfordern öffentliche Präventivkontrolle
Rz. 2351
Der Unionsgesetzgeber hat die öffentliche Präventivkontrolle im Gesetzgebungsverfahren daher trotz anderslautender Vorschläge, etwa im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, bestätigt. Dem ist zu...