Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 1636
Corporate Governance beinhaltet die Lehre von der korrekten Leitung und Überwachung von Unternehmen. Ihren Niederschlag haben die Regeln zum Corporate Governance in dem im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichten DCGK gefunden. Ergänzt werden diese Bestimmungen durch § 161 AktG. Danach sind der Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Aktiengesellschaften verpflichtet, jährlich zu erklären, ob den Empfehlungen des DCGK entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden. Anzugeben ist auch eine Begründung, "warum" einzelnen Empfehlungen des DCGK entsprochen wird, "Comply or Explain" (§ 161 Abs. 1 Satz 2 AktG). Für nicht börsennotierte Gesellschaften gilt der Corporate Governance Kodex nicht.
Rz. 1637
Ihrer Rechtsnatur handelt es sich lediglich um "Empfehlungen", die beachtet werden sollen, aber nicht beachtet werden müssen ("soft law").
Rz. 1638
Die Entsprechenserklärung ist "jährlich" abzugeben. Gemeint ist damit eine Abgabe entweder einmal im Kalenderjahr oder einmal im Geschäftsjahr. Die Erklärung braucht kein genaues Datum zu tragen. Ebenso wenig muss die Erklärung innerhalb von 12 Monaten seit Abgabe der letzten Erklärung oder etwa innerhalb der Fristen für den Jahresabschluss erfolgen. Es genügt die Abgabe im Laufe des nächsten Kalender- oder Geschäftsjahres.
Rz. 1639
Durch den Kodex soll den Teilnehmern am Kapitalmarkt ein Überblick über die in Deutschland geltende Unternehmensverfassung gegeben werden; ebenso sollen sie in Erfahrung bringen können, ob sich ein Unternehmen an den Verhaltenskodex hält. Für die Unternehmen selbst hat der Kodex weder unmittelbare noch mittelbare Gesetzeskraft. Auch die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG führt nicht zu einer Bindungswirkung.
Rz. 1640
Etwaige Verstöße gegen § 161 AktG betreffen das Innenrecht der Gesellschaft. Str. ist ob es sich bei Verstößen gegen die Entsprechenserklärung um Pflichtverstöße i.S.d. § 93 Abs. 2, 116 AktG handelt. Z.T. wird dies bejaht. Andere verneinen dies mit dem Argument, die Empfehlungen des DCGK haben nur einen unverbindlichen Charakter und können daher nicht haftungsbegründend wirken. Eine "Außenhaftung" bei Verstoß gegen die Entsprechenserklärung wird verneint, weil es sich entweder nicht um haftungsbegründende Eingriffe in die Rechte eines einzelnen Aktionärs handelt (§ 823 Abs. 1 BGB) oder weil schon kein Verstoß gegen Rechtsnormen vorliegt (§ 823 Abs. 2 BGB). Ein denkbarer Anspruch aus § 826 BGB wird regelmäßig an der haftungsbegründenden Kausalität scheitern.
Rz. 1641
Anfechtungsklagen können im Grunde nicht mit einem Verstoß gegen den Deutschen Corporate Governance Kodex begründet werden. Anders ist es, wenn Vorstand und Aufsichtsrat ihrer Verpflichtung nach § 161 AktG zur Abgabe einer Entsprechenserklärung überhaupt nicht nachgekommen sind bzw. diese Erklärungen unrichtig oder unvollständig sind. Die Beschlüsse über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sind dann anfechtbar. Ebenso anfechtbar ist die Entlastung des Aufsichtsrats, wenn dieser in seinem Bericht an die Hauptversammlung die Vorgaben des DCGK nicht beachtet, z.B. nicht ausreichend über Interessenkonflikte im Aufsichtsrat berichtet. Die Anfechtbarkeit ist aber ausgeschlossen, wenn zumindest gleichzeitig mit dem Wahlvorschlag die unterjährige Abweichung vom Corporate Governance Kodex nach § 161 AktG bekannt gegeben wird. Allerdings führt nicht jeder Verstoß gegen § 161 AktG bei einer unrichtigen Entsprechenserklärung zu einer Anfechtbarkeit der in der Hauptversammlung gefassten Entlastungsbeschlüsse, soweit diese durch die Regelnd des DCGK beeinflusst sein könnten. Besteht die Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung in einer Informationspflichtverletzung, muss diese für einen objektiv urteilenden Aktionär für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte relevant sein, um die schwere Folge der Anfechtbarkeit auszulösen. Gerade bei Entlastungsbeschlüssen kommt hinzu, dass diese nur bei eindeutigen und schweren Gesetzesverstößen anfechtbar sind. Es muss mehr als ein bloßer Formalverstoß vorliegen.
Rz. 1642
Str. ist die Anfechtbarkeit der Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds, wenn der Wahl ein Vorschlag des Aufsichtsrates zugrunde liegt, der inhaltlich im Widerspruch zu den Empfehlungen des Corporate Governance Kodex steht, denen sich der Aufsichtsrat unterworfen hat. Der BGH und die h.M. trennen zwischen einer etwaigen Aktualisierungspflicht der Entsprechenserklärung und dem anschließenden Beschluss über die Wahl eines Aufsichtsrats. Die beabsichtigte Wahl eines Aufsichtsrats, der den persönlichen Vorgaben des Kodex nicht entspricht, begründet keine Aktualisierungspflicht. Der die Verlautbarungspflicht auslösende Kodexverstoß liegt erst vor, wenn der Betroffene gewählt und die Wahl angenommen hat. Bei der Wahl selbst ist die Entsprechenserklärung noch korrekt. Auch ein Informationsmangel i.S.d. § 251 AktG lieg...