Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 2158
Eine Europäische Gesellschaft (SE) kann ihren Sitz innerhalb der Mitgliedstaaten der EU gem. Art. 8 SE-VO (rechtssicher) verlegen. Bis zum Stichtag 1.10.2013 haben 4 % aller registrierten SEs ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt.
Rz. 2159
Gem. Art. 8 Abs. 2 SE-VO führt die Sitzverlegung weder zur Auflösung der Europäischen Gesellschaft (SE) noch zur Gründung einer neuen juristischen Person. Art. 8 SE-VO enthält in den Abs. 2 bis 14 Regelungen zum Ablauf bzw. zum Verfahren der Sitzverlegung. Der Sitz einer Europäischen Gesellschaft (SE) kann ausschließlich nach den Vorschriften des Art. 8 SE-VO verlegt werden. Die Vorgaben der Mobilitätsrichtlinie greifen ebenso wenig wie die durch das UmRUG eingeführten Regelungen nach § 3 Abs. 1–3 UmwG.
Hinweis
Die Europäische Gesellschaft (SE) kann ihren Sitz innerhalb der EU/des EWR auf rechtssicherer Grundlage verlegen. Dies könnte eine Möglichkeit darstellen, der Mitbestimmung nach deutschem Recht zu entfliehen. Eine Europäische Gesellschaft (SE) könnte ihren Sitz nach England verlegen und sich dort in eine Gesellschaft englischen Rechts umwandeln. Diese würde sodann nur noch der "Mitbestimmung" nach englischem Recht unterliegen. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass über Luxemburg sogar die Möglichkeit besteht unter Wahrung der Rechtsidentität den Sitz in sog. "Steueroasen" zu verlegen.
1. Sitz und Hauptverwaltung
Rz. 2160
Mit Sitz i.S.d. Art. 8 SE-VO ist der Satzungssitz der Gesellschaft gemeint. Daraus folgt, dass die Regelungen über das Verfahren der Sitzverlegung nur für die Verlegung des Satzungssitzes der Europäischen Gesellschaft (SE) gelten.
Generell versteht die SE-VO den Begriff "Sitz" i.S.v. Satzungssitz. Dagegen kann "Sitz" nach deutschem Rechtsverständnis sowohl Satzungssitz wie auch tatsächlicher Sitz oder Verwaltungssitz bedeuten. Der Satzungssitz einer Gesellschaft ist der Ort, der in der Satzung als Sitz der Gesellschaft bezeichnet wird (notwendiges Erfordernis in der Satzung gem. § 23 Abs. 3 AktG).
Der Sitz der Europäischen Gesellschaft (SE) muss nach Art. 7 SE-VO in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft liegen. Darüber hinaus gibt die Vorschrift vor, dass der Sitz in demselben Mitgliedstaat belegen sein muss, in dem sich die Hauptverwaltung der Europäischen Gesellschaft (SE) befindet. Unter Hauptverwaltung der SE ist der Ort zu verstehen, an dem die grundlegenden Entscheidungen über die Leitung des Unternehmens getroffen werden. Diese Interpretation stimmt mit dem Verständnis i.S.d. Art. 54 Abs. 1 AEUV überein. Nach deutschem Verständnis entspricht diese Definition dem effektiven Verwaltungssitz einer Gesellschaft. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung in der Rechtssache "Cartesio" festgestellt, dass es den nationalen Gesetzgebern im Bereich der EU/des EWR freisteht festzulegen, dass die Gesellschaften ihren Verwaltungssitz auch in dem Land nehmen müssen, in dem ihr Satzungssitz belegen ist. Dann ist aber auch geklärt, dass der Europäische Verordnungsgeber eine derartige Festlegung betreffend einer europäischen Gesellschaftsform ohne Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV treffen darf. Die SE kann deshalb nicht von der für deutsche Gesellschaften ausweislich der Regierungsbegründung zum MoMiG vorgesehenen Option Gebrauch machen, den Verwaltungssitz ins Ausland zu verlegen. Im Zuge seiner Reformanregungen forderte der Arbeitskreis Aktien- und Kapitalmarktrecht die Kommission dazu auf, die Sitzkopplung zu überdenken. Vorgeschlagen wird in Anlehnung an den Entwurf des Art. 4 Abs. 2 SPE-VO das Einfügen einer ausdrücklichen Erlaubnis für das Auseinanderfallen von Verwaltungs- und Satzungssitz, wobei Art. 8 Abs. 5 SE-VO dann auch die Verlegung des Verwaltungssitzes nicht anwendbar sein sollte.
Rz. 2161
Daneben enthält Art. 7 Abs. 2 SE-VO eine Ermächtigung an die nationalen Gesetzgeber, vorzuschreiben, dass die Europäische Gesellschaft (SE) ihren Sitz und ihre Hauptverwaltung am selben Ort im Inland haben muss. Eine entsprechende Forderung enthält das deutsche Recht nicht.