Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
1. Wahlmöglichkeiten zwischen den Leitungssystemen
Rz. 2180
Durch die Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft wurde auch die Option für ein neues Verwaltungssystem eröffnet. Die SE-VO bietet in Art. 38 Buchst. b) der Europäischen Aktiengesellschaft die Möglichkeit, ein monistisches Leitungssystem (One-Tier-System) zu wählen. Diese Wahlmöglichkeit gab es bis dahin in Deutschland nicht. Sie verkörperte eine der großen Neuerungen, die mit der Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft einhergingen. Dieses angloamerikanische One-Tier-System bei der Unternehmensleitung wird oft als flexibler und einfacher dargestellt, als das in Deutschland vorgesehene dualistische System. In Deutschland wurde traditionellerweise bei der Leitung der Gesellschaft zwischen dem Vorstand (§§ 76 ff. AktG) als Leitungsorgan und dem Aufsichtsrat (§§ 95 ff. AktG) als Kontrollorgan getrennt.
Bei der Europäischen Aktiengesellschaft ist es möglich, einen Verwaltungsrat als Leitungsorgan zu wählen. Das Unternehmen wird somit durch ein Kollegialorgan geführt.
Die SE-VO legt die Organe der Europäischen Aktiengesellschaft zwingend fest. Grundorgan ist die Hauptversammlung der Aktionäre.
Rz. 2181
Darüber hinaus kann die Leitung der Gesellschaft entweder monistisch oder (klassisch deutsch) dualistisch organisiert werden. In der Satzung ist gem. Art. 38b) SE-VO das Leitungssystem festzulegen. Mittels Satzungsänderung kann nachträglich ein anderes System eingeführt werden. Auf den ersten Blick scheinen deutsche Unternehmen der dualistischen Unternehmensverfassung verhaftet zu sein. Nur etwa ⅓ der deutschen SEs mit operativem Geschäft wird durch ein Board geleitet. In der Praxis haben sich insbesondere kleinere mittelständische und nicht börsennotierte SEs für ein monistisches Leitungssystem entschieden.
Die dualistisch aufgebaute SE hat neben der Hauptversammlung – wie die nationale AG – ein Aufsichtsorgan und ein Leitungsorgan. Die Terminologie weicht von den vom AktG gebrauchten Begriffen "Aufsichtsrat" und "Vorstand" ab.
Die Europäische Aktiengesellschaft mit monistischem Leitungssystem hat neben der Hauptversammlung einen Verwaltungsrat, § 20 SEAG.
Weitere Organe sieht die SE-VO nicht vor. Es ist daher streitig, ob weitere Organe in einer Europäischen Aktiengesellschaft gebildet werden können. Im Gegensatz zur EWIV-VO findet sich in der SE-VO keine Ermächtigung, über die Satzung (dort Gründungsvertrag) weitere Organe zu schaffen (vgl. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 EWIV-VO). Art. 54 Abs. 2 SE-VO geht allerdings davon aus, dass auch andere Organe neben Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgan bestehen können. Die Regelungslücke ist durch den allgemeinen Verweis auf das nationale Recht zu schließen. Neben den gesetzlich vorgesehenen, sind weitere Organe nur in eng begrenztem Umfang zulässig.
Rz. 2182
Die Struktur der beiden zu wählenden Systeme ist grundverschieden. Das dualistische System ist durch eine starke Trennung zwischen dem geschäftsführenden Organ, dem Vorstand und dem beaufsichtigenden Organ, dem Aufsichtsrat, gekennzeichnet. Im monistischen System findet keine derartige Trennung statt. Es gibt nur ein einziges Leitungsorgan.
In diesem Strukturunterschied liegen Vorteile des monistischen Systems. Vorteilhaft ist, dass einem Informationsverlust besser vorgebeugt werden kann, die Koordination einfacher ist, da es sich um ein kleineres Gremium handelt, und kein Informationsvorsprung für das Management besteht, der den Aufsichtsrat zu einem bloß reagierenden Organ herabstuft. Es wird argumentiert, dass die Entscheidungsfindung beim monistischen System damit auf deutlich sichererer Basis als beim dualistischen System vor sich gehe. Die geringere Personenzahl lässt z.B. auch einen häufigeren Sitzungsturnus zu.
Diese Einheitlichkeit des Organs stellt einen Nachteil dar, wenn der Verwaltungsrat Maßnahmen vorbereitet, die durch ihn gleichzeitig auch aus kritischer, beaufsichtigender Sicht beurteilt werden müssen. Interessenkonflikte sind damit nicht ausgeschlossen.
In Deutschland ist es schon heute Praxis vieler AG, Entscheidungen auf Ausschüsse zu übertragen, die personell kleiner besetzt und daher effektiver sind. Des Weiteren werden Aufsichtsräte zunehmend auch mit in die Planungen des Vorstandes einbezogen. Trotz der Nachteile des monistischen Systems hat die Gesellschaft in dieser Verwaltungsform größere Flexibilität, da die Ausgestaltung und Funktionsweise sowie die Übertragung von Funktionen in größerem Umfang durch die Satzung geregelt werden kann.
Dies bedeutet, dass sich ohne größere Probleme im monistischen System ein dem dualistischen System nachgebildetes Verwaltungsratsorgan installieren lässt und damit eine Kontrollfunktion ähnlich dem dualistischen System erreicht werden kann.
Zu bedenken ist auch, dass Verhaltens- und Sorgfaltspflichten der Leitungs- und Aufsichtsorgane im dualistischen wie im monistischen System weitgehend ähnlich sind. Die Sorgfaltspflicht wird in beiden Systemen durch eine sich stä...