Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
1. COVID-19-Pandemie als Initialzündung
Rz. 1432
Im Zusammenhang mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie und den damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen sowie insbesondere dem angeordneten Versammlungsverbot musste der Gesetzgeber kurzfristig reagieren, um AG, Genossenschaften, GmbH, Vereinen etc. die Möglichkeit zu geben, auch in der Pandemie rechtssichere Beschlüsse fassen zu können. Dies führte im Ergebnis zum Erlass des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.3.2020 (nachfolgend COVMG).
Rz. 1433
Hierbei handelte es sich um eine pandemiebedingte Sonderregelung. Ermöglicht wurde dabei u.a., dass der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung über die elektronische Teilnahme der Aktionäre an einer Hauptversammlung nach § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG und über die Stimmabgabe im Wege elektronischer Briefwahl gem. § 118 Abs. 2 AktG entscheiden konnte (§ 1 Abs. 1 COVMG).
Rz. 1434
Wesentlich einschneidender waren dagegen die Regelungen in § 1 Abs. 2 COVMG. Hiernach war es erstmals möglich, eine Hauptversammlung auch ohne das Recht der Aktionäre auf physische Präsenz als eine rein virtuelle Hauptversammlung abzuhalten. Voraussetzung einer solchen rein virtuellen Hauptversammlung war, dass
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eine Bild- und Tonübertragung der gesamten Hauptversammlung erfolgt, |
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die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist, |
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die Aktionäre eine Fragemöglichkeit (später: Fragerecht) im Wege der elektronischen Kommunikation erhalten, |
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den Aktionären, die ihr Stimmrecht ausgeübt haben, eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung eingeräumt wird, und zwar in Abweichung von § 245 Nr. 1 AktG unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der Hauptversammlung. |
Darüber hinaus wurde es dem Vorstand ermöglicht anzuordnen, dass Fragen im Rahmen des Auskunftsrechts der Aktionäre in der Hauptversammlung bis spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind (§ 1 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs. COVMG).
Rz. 1435
Zur Sicherung der Aktionärsrechte bestimmte § 1 Abs. 5 COVMG, dass alle Entscheidungen des Vorstandes in diesem Zusammenhang der Zustimmung des Aufsichtsrats bedurften.
Die Geltungsdauer dieser Vorschriften war befristet. Sie endete mit Ablauf des 31.8.2022.
Rz. 1436
Die Praxis hat dieses Format der virtuellen Hauptversammlung überwiegend positiv aufgenommen. Namentlich die Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften wurden seither ausschließlich als virtuelle Hauptversammlungen durchgeführt.
Hervorgehoben wurde u.a. eine angebliche Steigerung der Präsenz in der Hauptversammlung. Ebenso wurde festgestellt, dass die Möglichkeit für den Vorstand, mit Zustimmung des Aufsichtsrats die Vorabeinreichung von Aktionärsfragen vorsehen zu können, vielfach zu einer Steigerung der Qualität der durch die Verwaltung gegebenen Antworten geführt habe.
Rz. 1437
Demgegenüber wurde eingewandt, dass das COVMG die Aktionärsrechte vor dem Hintergrund, den Gesellschaften die Möglichkeit zu geben, rechtssichere Beschlüsse fassen, in nicht unerheblicher Weise zurückgedrängt wurde. Hat der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats von der Möglichkeit des § 1 Abs. 2, 2. Halbs. COVMG Gebrauch gemacht und die Vorabeinreichung von Fragen angeordnet, konnten die Aktionäre "weitere" Fragen bzw. Nachfragen zu bereits vorab gestellten Fragen in der Hauptversammlung nicht mehr stellen. Wurde die Stimmrechtsausübung der Aktionäre, wie durch das COVMG gestattet, allein über die elektronische Briefwahl ermöglicht, war keine elektronische Teilnahme an der Versammlung möglich. Den Aktionären wurde damit das Recht zur Stellung von Anträgen sowie das Rederecht in der Versammlung genommen.
Rz. 1438
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der nur beschränkten Gültigkeit dieser pandemiebedingten Sondervorschriften und den dabei gewonnenen positiven Erfahrungen aus den in den Jahren 2020 und 2021 durchgeführten virtuellen Hauptversammlungen hat sich der Gesetzgeber veranlasst gesehen, den Gesellschaften dauerhaft die Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung zu gewähren.
Rz. 1439
Die neuen Vorschriften knüpfen an die Regelungen des COVMG an und übernehmen darüber hinaus vielfältige Vorgaben aus der "best practise" der in den letzten zwei Jahren durchgeführten Hauptversammlungen. Leitbild der neuen gesetzlichen Regelungen ist, dass die Aktionäre im Falle einer virtuellen Hauptversammlung ihre Rechte ebenso und weitestgehend vergleichbar wahrnehmen können wie bei der Präsenzversammlung. Abgesehen von einzelnen Besonderheiten der elektronischen Kommunikation war sicherzustellen, dass alle Elemente der Präsenzversammlung in einer möglichst unveränderten Form in einer virtuellen Versammlung abgebildet werden können.
Rz. 1440
Weiter greift der Gesetzgeber in dem neuen Gesetz die auch schon im COVMG...