Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 1653
Nach § 120 Abs. 1 AktG ist in den ersten 8 Monaten eines Geschäftsjahres über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrates zu beschließen. Durch die Entlastung billigt die Hauptversammlung die Tätigkeit des Vorstands und des Aufsichtsrates für das vorangegangene Geschäftsjahr (§ 120 Abs. 2 Satz 1 AktG). Die sachliche Reichweite der Entlastung erstreckt sich allerdings nur auf die der Hauptversammlung bekannt gewordenen Umstände. Ein Verzicht auf etwaige Schadensersatzansprüche geht mit der Entlastung nicht einher (§ 120 Abs. 2 Satz 2 AktG). Auch sonst sind mit der Entlastung oder Entlastungsverweigerung keinerlei statusrechtliche Folgen verbunden. Gleichwohl hat die Entlastung erhebliche Bedeutung in der Rechtspraxis, bietet sich doch die Möglichkeit, bei diesem Tagesordnungspunkt vielfältige Unmutsbekundungen gegen die Verwaltung vorzutragen.
Rz. 1654
I.d.R. erfolgt eine Gesamtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat; eine gemeinsame Entlastung beider Organe in einem Beschluss ist unzulässig. Aufgrund Beschluss der Hauptversammlung oder eines Minderheitsverlangens nach § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG ist eine Einzelentlastung der jeweiligen Organmitglieder durchzuführen. Erreicht der Hauptversammlungsbeschluss keine Mehrheit, aber der Antrag das für ein Minderheitsverlangen erforderliche Quorum, kann das ablehnende Abstimmungsergebnis als erfolgreiches Minderheitsverlangen zu einer Einzelentlastung führen (str.). Der Versammlungsleiter ist auch berechtigt, von sich aus ohne Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Einzelentlastung anzuordnen.
Rz. 1655
Soweit die Organmitglieder selbst Aktionäre sind, gilt nur bei der Gesamtentlastung das Stimmverbot des § 136 Abs. 1 AktG, nicht aber im Fall der Einzelentlastung für die übrigen Organmitglieder. Streitig ist, ob die Einzelentlastung wegen einer möglichen Umgehung von Stimmverboten rechtsmissbräuchlich ist. Die herrschende Meinung und der BGH lehnen dies ab.
Rz. 1656
Ist in der Einmann-AG der alleinige Aktionär auch Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrates, kann ein Entlastungsbeschluss wegen des Stimmverbots für ihn nach § 136 AktG nicht gefasst werden. Eine Entlastung für ihn gibt es nicht. Besonderheiten beim Entlastungsbeschluss der übrigen Verwaltungsmitglieder bestehen nicht.
Rz. 1657
Entlastungsbeschlüsse können angefochten werden. Auch kann die Anfechtung etwa auf eine mangelhafte Berichterstattung durch den Aufsichtsrat nach § 171 Abs. 2 Satz 1 AktG gestützt werden. Eine Anfechtung ist aber nur bei eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzes- und Satzungsverstößen der zu Entlastenden anfechtbar. An einem solchen Rechtsverstoß fehlt es, wenn die Rechtslage nicht ober- oder höchstrichterlich geklärt ist und das Verhalten des zu Entlastenden nach maßgeblichen Stimmen in der Lit. zulässig ist. Anders ist es, wenn er sich über eine zweifelsfreie Rechtslage hinwegsetzt.
Grundlage der Anfechtung des Entlastungsbeschlusses ist nicht der Rechtsverstoß des zu Entlastenden, sondern die Treuepflichtwidrigkeit der den Entlastungsbeschluss tragenden Mehrheit der Hauptversammlungsteilnehmer. Da die Entlastungsentscheidung im Ermessen der Aktionäre liegt, die auch die zugrunde liegenden Tatsachen zu beurteilen haben, ist ein Entlastungsbeschluss nicht schon deshalb fehlerhaft, weil es Gründe gegeben hätte, die Entlastung zu verweigern. Weitere Voraussetzung für die Begründetheit der Anfechtungsklage ist, dass die zur Begründung der Anfechtbarkeit angeführten Rechtsverstöße von den Teilnehmern der Hauptversammlung erkannt wurden oder von ihnen auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Informationen hätten erkannt werden müssen. Spätere Erkenntnisse können nicht herangezogen werden. Schließlich kommt eine Anfechtung der Entlastungsbeschlüsse im Zusammenhang mit der Fehlerhaftigkeit der Entsprechenserklärung zum Corporate Governance Kodex in Betracht.