Carolin Ott, Anja Surwehme
Rz. 61
& Vorbemerkung
Nach Durchlaufen des Verwaltungsverfahrens, welches mit dem Widerspruchsbescheid endet, ist die Klage vor dem Sozialgericht zulässig. Das Klageverfahren ist im Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelt. Häufigste Klagearten sind die Anfechtungs- und die Verpflichtungsklage, ggf. kombiniert mit einer Leistungsklage. Die Anfechtungsklage ist statthaft gegen Eingriffe in Rechte der Betroffenen (z.B. Beitragsbescheid). Die Verpflichtungsklage ist dann die richtige Klageart, wenn die Behörde einen beantragten Verwaltungsakt nicht erlässt (z.B. Feststellung eines bestimmten Behinderungsgrades). Die Anfechtungsklage schafft also einen Bescheid aus der Welt, die Verpflichtungsklage erstrebt die Verurteilung der Behörde zum Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Bescheides. Im sozialgerichtlichen Verfahren gilt der Untersuchungs- und Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG). Das heißt, das Gericht muss den Sachverhalt von Amts wegen erforschen und ist nicht an das Parteivorbringen gebunden. Die dem Gericht zustehenden Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung sind in § 106 SGG geregelt.
Rz. 62
& Zu 1.
a) Fristberechnung
Die Klagefrist beträgt einen Monat (nicht vier Wochen!). Die Klagefrist knüpft an die Bekanntgabe des Widerspruchs an. Die Bekanntgabe ist in § 37 SGB X geregelt. Erfolgt eine förmliche Zustellung durch die Post, geschieht dies nach den allgemeinen Zustellungsvorschriften, die gemäß § 37 Abs. 5 SGB X anwendbar bleiben, also entweder durch Postzustellungsurkunde (§ 3 VwZG) oder mittels Einschreiben (§ 4 VwZG). Die Zustellungsurkunde begründet als öffentliche Urkunde den vollen Beweis des Zugangs am beurkundeten Datum. Bei der Zustellung mittels eingeschriebenen Briefs gilt dieser gemäß § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als zugestellt (Drei-Tages-Fiktion). Dies gilt nach allgemeiner Auffassung auch dann, wenn der Bescheid tatsächlich früher zugegangen ist.
Beispiel zur Fristberechnung
Die Behörde gibt den Widerspruchsbescheid per Einschreiben am Donnerstag, 15.1., zu Post, tatsächlich zugestellt wird der Bescheid am Samstag, 17.2. Nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X gilt als Bekanntgabe Sonntag, der 18.1. (Drei-Tages-Fiktion), sodass die Frist am 18.2. um 24.00 Uhr endet.
Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung, so gilt gemäß § 66 Abs. 2 SGG die Jahresfrist. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist gemäß § 66 Abs. 1 S. 2 SGG nur ordnungsgemäß, wenn sie folgende Mindestangaben enthält:
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Bezeichnung des Rechtsbehelfs |
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Benennung des zuständigen Gerichts |
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Sitz der den Widerspruchsbescheid erlassenden Behörde |
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Frist |
Rz. 63
b) Folgen der Fristversäumnis
Wird die Klage nicht fristgemäß eingereicht, so ist sie unzulässig. Ggf. kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht.
Rz. 64
& Zu 2.
Im Regelfall ergibt sich das zuständige Gericht aus der Rechtsbehelfsbelehrung am Ende des Widerspruchsbescheides. Sachlich zuständig in erstinstanzlichen Verfahren sind die Sozialgerichte. Die Landessozialgerichte sind reine Berufungsgerichte, eine erstinstanzliche Eingangszuständigkeit gibt es nicht. Das Bundessozialgericht ist reine Revisionsinstanz (Ausnahme § 39 Abs. 2 SGG). Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts richtet sich nach Sitz, Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Klägers (§ 57 Abs. 1 S. 1 SGG). Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es sich beim Kläger um eine natürliche oder juristische Person handelt.
Rz. 65
& Zu 3.
Die Regelungen zu Inhalt und Form der Klageerhebung finden sich in § 92 SGG. Es handelt sich dabei um eine Sollvorschrift. Wird sie nicht eingehalten, so führt dies nicht automatisch zur Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der Klage. Der Kläger ist auch nicht generell später mit seinen Einwendungen ausgeschlossen. Die Klageschrift ist eigenhändig zu unterschreiben. Fehlt eine Unterschrift, so ist die Klage nur dann wirksam erhoben, wenn das Gericht im Besitz einer körperlichen Urkunde ist, aus welcher sich die Urheberschaft des Klägers zweifelsfrei ergibt.
Folgende Angaben sollte die Klageschrift enthalten:
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Bezeichnung der Beteiligten: Kläger und Beklagter sind mit Namen und ladungsfähiger Anschrift zu bezeichnen. |
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Bezeichnung des Klagegenstandes: Klage- oder auch Streitgegenstand ist der vom Kläger erhobene Anspruch. Somit das an das Gericht gerichtete Begehren, eine bestimmte Rechtfolge aufgrund eines bestimmten Rechtsbehelfs auszusprechen. |
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Antrag: Grundsätzlich haben die Beteiligten einen Antrag zu stellen. Die Sachdienlichkeit des Antrags ist vom Gericht durch Auslegung zu ermitteln (§ 106 SGG). |
Rz. 66
& Zu 4.
Mit der Erhebung wird die Klage bereits rechtshängig (§§ 90, 94 SGG). Die nicht erst mit Zustellung der Klage an den Gegner eingetretene Rechtshängigkeit bewirkt, dass ein weiterer Prozess über denselben Prozessgegenstand unwirksam ist. Mit der Klageerhebung wird die Verjährung gehemmt.
Die mündliche Verhandlung ist obligatorisch. Ein – nicht öffentlicher – Erörterungstermin dient der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, ersetzt di...