Dr. Lutz Förster, Dennis Ch. Fast
Rz. 8
Besteht eine Sachverhaltsidentität, muss der Rechtsanwalt, ferner eine andere Partei in derselben Rechtssache schon einmal im entgegengesetzten Interesse beraten oder vertreten haben. Entscheidend ist, dass der Rechtsanwalt für zwei oder mehr Parteien tätig gewesen ist, deren Interessen gegenläufig sind. Ein Interessenwiderstreit zeichnet sich durch die Unvereinbarkeit, Widersprüchlichkeit und Gegensätzlichkeit der Interessen der Parteien aus, wodurch die Verwirklichung des einen rechtlichen Interesses unmittelbar zulasten des anderen gehen muss. Für den Interessenwiderstreit müssen die Interessen von rechtlich relevanter Art sein. Der Rechtsanwalt verstößt gegen § 43a Abs. 4 BRAO nur, wenn er den gleichen Lebenssachverhalt einmal in diesem und ein anderes Mal im entgegengesetzten Interesse rechtlich gewürdigt hat. Daher scheidet der Interessenwiderstreit aus, wenn der Rechtsanwalt für den Mandanten mit lediglich wirtschaftlich divergierenden Zielen tätig wird, wobei aber die fließende Grenze zwischen der Vertretung rechtlicher und wirtschaftlicher Interessen nicht außer Acht gelassen werden darf.
Rz. 9
In der Rechtsprechung und Literatur ist höchst umstritten, aus wessen Sicht die gegensätzlichen Interessen zu beurteilen sind. Hier steht ein subjektiver Ansatz, wonach das Interesse aus der Sicht des Mandanten zu beurteilen ist, einem objektiven Ansatz, wonach das Interesse aus der Sicht eines objektiven Beobachters als wohlverstandenes Interesse zu beurteilen ist, gegenüber. Der BGH tendiert in einer jüngeren Entscheidung wieder zum subjektiven Ansatz. Ungeachtet dessen favorisiert die Literatur einen Mittelweg, wonach eine den Willen der jeweiligen Partei berücksichtigende subjektive Interessenbestimmung zutreffend sein dürfte. Sofern tatsächliche Anhaltspunkte fehlen oder bei inhaltlich nicht nachvollziehbarer oder von der Rechtsordnung nicht gebilligter Wunschvorstellung einer Partei bedarf es des Rückgriffs auf ein objektives Element.
Rz. 10
Bei der Beurteilung, ob ein Interessengegensatz vorliegt, muss der Rechtsanwalt auch die zeitliche Komponente berücksichtigen. Das subjektive Interesse des Auftraggebers kann sich im Laufe des Mandats stetig verändern. Eine anfängliche Interessengleichheit zwischen zwei Parteien kann sich jederzeit in einen Interessenwiderstreit verwandeln, wodurch der Anwalt zur Niederlegung sämtlicher Mandate verpflichtet wird. Ein anwaltliches Tätigkeitsverbot besteht nur, wenn ein konkreter Interessengegensatz in dem Zeitpunkt gegeben ist, in dem der Rechtsanwalt tätig werden soll. Das Anknüpfen an einen nur möglichen, im konkreten Verfahren tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt würde gegen das Übermaßverbot verstoßen und wäre deshalb verfassungsrechtlich unzulässig.