Dr. Lutz Förster, Dennis Ch. Fast
Rz. 19
Besonders das erbrechtliche Mandat ist für eine Interessenkollision anfällig. Beispielweise ist bei der Vertretung von mehreren Miterben oder Pflichtteilsberechtigter, die das gemeinsame Ziel einer Erbauseinandersetzung bzw. der Durchsetzung ihres Pflichtteilsanspruchs haben, die Gefahr von gegenläufigen Interessen trotz des Bestehens eines gemeinsamen Interesses nicht zu unterschätzen.
1. Interessenkollision bei der Erbengemeinschaft
Rz. 20
Relativ häufig wird der Rechtsanwalt mit der Vertretung mehrerer Miterben beauftragt, die das gemeinsame Ziel einer Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft haben. Zu Beginn werden die Mandanten häufig die schnellstmögliche Erbauseinandersetzung anstreben. Dabei muss der Rechtsanwalt eine Interessenkollision nicht von vornherein fürchten, solange es um Ansprüche der Erbengemeinschaft gegen Dritte oder die Abwehr von Pflichtteilsansprüchen gegen die Erbengemeinschaft geht. Eine latente Möglichkeit eines Interessenwiderstreits zwischen den Miterben erfüllt nicht automatisch den Tatbestand der Interessenkollision.
Rz. 21
Dennoch muss die Vertretung als Brennpunkt eines möglichen Interessenwiderstreits angesehen werden, sofern die Miterben im Innenverhältnis beispielweise differenzierte Rechtsansichten über den Erhalt von lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers, die nach §§ 2050 ff. BGB Ausgleichsansprüche begründen, haben. Gleiches gilt für den Fall, wenn einer der Miterben ein eigenes Forderungsrecht gegenüber einem weiteren Miterben hat oder die Miterben sich bei der Abwehr eines Pflichtteilsanspruchs nicht einig sind, da beispielweise über den Wertansatz einer Nachlassimmobilie Streit entsteht. Vertritt der Rechtsanwalt dennoch mehrere Miterben, hat er bei der Mandatsannahme auf die Gefahr einer Interessenkollision sowie das Risiko der sofortigen Mandatsniederlegung hinzuweisen.
2. Interessenkollision im Pflichtteilsrecht
Rz. 22
Eine vergleichbare Interessenkollision kann sich auch bei der gemeinsamen Vertretung mehrerer Pflichtteilsberechtigter ergeben. Auch hier werden die Pflichtteilsberechtigten im Grundsatz zunächst ein einvernehmliches Vorgehen gegen die Erben anstreben. Allerdings kann das Bestehen möglicher Ausgleichspflichten (§ 2316 BGB), die Berücksichtigung von anrechenbaren Vorempfängen bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs (§ 2315 BGB) oder des Pflichtteilsergänzungsanspruchs (§§ 2325 ff. BGB) zu einem Interessenwiderstreit führen. Der Rechtsanwalt sollte die Pflichtteilsberechtigten darauf hinweisen, dass die Möglichkeit einer Interessenkollision besteht, und ggfs. mit nur einem Pflichtteilsberechtigten einen Geschäftsbesorgungsvertrag abschließen. Ein Interessenwiderstreit besteht, wenn der Rechtsanwalt auf der einen Seite Pflichtteilsberechtigte und auf der anderen Seite einen Nachlassschuldner vertritt. Hingegen besteht nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe ein Interessenwiderstreit nicht, wenn ein Rechtsanwalt, der den Erblasser bei der Errichtung seines Testaments beraten hat, nach dem Erbfall dessen pflichtteilsberechtigte zweite Ehefrau gegen dessen Alleinerbin bei der Durchsetzung ihres Vermächtnis- bzw. Pflichtteilsanspruchs vertritt. Ebenfalls wird der Interessenwiderstreit verneint, wenn ein Rechtsanwalt für den Pflichtteilsberechtigten und den Alleinerben die in ihrem Miteigentum stehende Immobilien veräußert und ihre gemeinsamen Verbindlichkeiten und den Nachlassbestand klärt, da hier die Interessen beider Mandanten gleichgerichtet sind. Letzteres dürfte aber im Einzelfall zu prüfen sein, da beim Verkauf einer Immobilie häufig gegenläufige Interessen bestehen.
3. Ehegattentestament und Ehegattenerbvertrag
Rz. 23
Die Beratung von Ehegatten bei ihrer gemeinschaftlichen Errichtung einer Verfügung von Todes wegen kann einen Interessenwiderstreit begründen. In den meisten Fällen werden die Ehegatten bereits eine gemeinsame Entscheidung über die Verteilung von Erbquoten, die Anordnung von Vermächtnissen, über eine mögliche Vor- und Nacherbschaft oder die Testamentsvollstreckung getroffen haben. Insoweit darf auch der Rechtsanwalt von Entscheidungen im gemeinsamen Interesse ausgehen. In vielen Fällen können aber im Rahmen der fachgerechten Beratung und Gestaltung durch den Rechtsanwalt Streitfragen zwischen den Ehegatten auftreten.
Rz. 24
Eine solche Interessenkollision kann in dem Fall vorliegen, in dem sich die Ehegatten über die Änderung einer bereits gemeinschaftlich getroffenen letztwilligen Verfügung beraten lassen. Sofern hier nur einer der Ehegatten auf die Änderung drängt, der andere Ehegatte die frühere Regelung aber für ausreichend hält und sich gegen die Änderung wehrt, liegt der Interessengegensatz offenkundig vor, der den Rechtsanwalt zum Handeln verpflichtet. Weitere häufige Fälle für eine Interessenkollision bei der Beratung und Gestaltung eines Testaments stellen die Wieder...