I. Umfang einer vertraglichen Schutzwirkung
Rz. 4
Ein Vertrag kann nach dem Willen der Vertragspartner eine Schutzwirkung für eine außenstehende Person insoweit haben, als der Dritte
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entweder in den Schutzbereich vertraglicher Nebenpflichten (§§ 241 Abs. 2, 242 BGB) |
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oder der vom Vertragsschuldner zu erbringenden vertraglichen Hauptleistungspflicht – ohne eigenes Forderungsrecht i.S.d. § 328 Abs. 1 BGB – |
einbezogen werden soll.
1. Einbeziehung in den Schutzbereich vertraglicher Nebenpflichten
Rz. 5
Die sekundären Schutzpflichten aus einem fremden Vertrag erstrecken sich dann auf einen Dritten, wenn dieser bestimmungsgemäß mit der vertraglichen Hauptleistung in Berührung kommt und deswegen den damit verbundenen Gefahren ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger, dem der Schuldner zur Abwendung dieser Gefahren verpflichtet ist, und wenn die Vertragspartner den Dritten schützen wollen.
Ursprünglich hatte sich die entsprechende Rechtsprechung des BGH auf die Fortführung derjenigen des RG beschränkt (vgl. Rdn 2).
Rz. 6
Schon damals stand die Rechtsprechung vor der Aufgabe, den geschützten Personenkreis eng zu ziehen, um dem Vertragsschuldner mit einer Schadensersatzpflicht ggü. einem Dritten kein unberechenbares – und damit regelmäßig unversichertes –, unerträgliches Haftungsrisiko aufzuerlegen. Ist die Wahrung eines Drittinteresses von den Vertragspartnern nicht zum Gegenstand des Vertrages gemacht worden, sind Nachteile eines Dritten, die durch den Vertragsschuldner im Zusammenhang mit seiner Vertragsleistung ausgelöst werden, grds. "reine Reflexwirkungen", die keinen vertraglichen Schadensersatzanspruch begründen. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte darf nicht die Grenzen zwischen Vertrags- und Deliktshaftung aufheben und zu einer uferlosen deliktischen Generalklausel werden. Zur Eingrenzung des geschützten Personenkreises hatte der BGH, falls die Vertragserklärungen und das Verhalten der Vertragspartner insoweit keine Anhaltspunkte enthielten, zunächst verlangt, dass der Vertragsgläubiger eine (familien- oder arbeitsrechtliche, mietvertragliche) Fürsorgepflicht ggü. dem Dritten habe und deswegen für dessen "Wohl und Wehe" verantwortlich sei, sodass Angehörige, Arbeitnehmer und Mieter des Gläubigers geschützt wurden; in solchen Fällen spricht die objektive Interessenlage dafür, dass die Vertragspartner solche Dritte schützen wollen. Diese Voraussetzungen hat der BGH aufgegeben.
2. Einbeziehung in den Schutzbereich der vertraglichen Leistungspflicht
Rz. 7
Aufgrund eines Falles, in dem ein Rechtsanwalt seine vertragliche Verpflichtung ggü. seinem Mandanten, an der testamentarischen Erbeinsetzung der Tochter mitzuwirken, schuldhaft versäumt hatte, hat der BGH die Schutzwirkung eines Vertrages zugunsten Dritter auf die geschuldete Hauptleistungspflicht erstreckt (vgl. Rdn 20). Soll die hauptsächliche Vertragsleistung zwar nicht vom Dritten nach § 328 Abs. 1 BGB beansprucht werden können, aber nach dem Vertragsinhalt erkennbar zumindest auch dem Interesse des Dritten dienen und deswegen diesem unmittelbar zugutekommen, so entspricht es nach Sinn und Zweck des Vertrages dem Willen der Vertragspartner, dem Dritten selbst Schutz bei Leistungsstörungen zu gewähren (vgl. Rdn 2). Dies gilt insb. bei einer Schlechterfüllung des Vertrages; sie ist der Hauptanwendungsfall eines Anwalts-, Steuerberater- oder Wirtschaftsprüfervertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
3. Vertragliche Abreden
Rz. 8
Da Ausgangspunkt der Frage der Einbeziehung der Vertragswille der Vertragspartner ist, steht es diesen frei, über den Umfang des Drittschutzes eigenständige Vereinbarungen zu treffen. So hat der BGH bereits zur "Wohl und Wehe"-Rechtsprechung festgehalten, dass auch dann, wenn ein Dritter zu diesem Personenkreis zählt, wirksam vereinbart werden kann, dass dieser Dritte nicht in den Schutzbereich des Vertrages eingebunden werden soll. Im umgekehrten Fall kann eine Person, die nicht zu diesem Personenkreis zu rechnen ist, durch ausdrückliche oder stillschweigende Abrede in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden. Hierauf hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 14.6.2012 ausdrücklich Bezug genommen. Das OLG Koblenz hat im Anschluss hieran in einer Anwaltshaftungssache im Wege der Beweisaufnahme die im dortigen Verfahren strittige Frage des Drittschutzes geklärt und ist zum Ergebnis gelangt, dass die Behauptung des verklagt...