Dr. iur. Nikolas Hölscher
I. Konstellationen der Sorgerechtsvollmacht
1. Sorgerechtsvollmacht an den anderen Elternteil
a) Sorgerechtsvollmacht für den Verhinderungsfall
Rz. 2
Im Verhinderungsfall eines Elternteils kann die Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht an den anderen Elternteil erforderlich werden. Zwar ist die elterliche Sorge unverzichtbar und unvererblich, ihre Ausübung kann jedoch dem anderen Elternteil übertragen werden.
b) Sorgerechtsvollmacht zur Abwehr eines Antrags nach § 1371 Abs. 1 BGB
Rz. 3
Der BGH hat zudem entschieden, dass einer erteilten Sorgerechtsvollmacht an den anderen Elternteil auch bei der Frage, ob einem Antrag nach § 1671 Abs. 1, S. 2 Nr. 2 BGB auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts stattzugeben ist, Bedeutung zukommen kann. Eine Sorgerechtsvollmacht an den anderen Elternteil kann die Übertragung der elterlichen Sorge auf den anderen Elternteil ganz oder teilweise entbehrlich machen. Eingedenk dessen dürfte die Bedeutung von Sorgerechtsvollmachten unter Eltern in der Praxis zunehmen.
2. Sorgerechtsvollmachten an Dritte
a) Sorgerechtsvollmacht für den Verhinderungsfall
Rz. 4
Neben der Erteilung von Sorgerechtsvollmachten unter Eltern kommt ihrer Erteilung an Dritte Bedeutung zu, z.B. an neue Ehegatten, faktische Lebenspartner, Verwandte, Schule, Internat, Pflegeeltern.
b) Sorgerechtsvollmacht zur Abwehr eines Sorgerechtsentzugs nach § 1666 BGB
Rz. 5
Die Erteilung von Sorgerechtsvollmachten an das zuständige Jugendamt kann zuletzt geeignet sein, einem Entzug des Sorgerechts nach § 1666 BGB zu begegnen.
II. Voraussetzungen der Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht
1. Dogmatik der Sorgerechtsvollmacht
a) Außenverhältnis: Anwendung der §§ 164 ff. BGB vs. Ermächtigung
Rz. 6
Über die Dogmatik der Sorgerechtsvollmacht bestand in Rechtsprechung und Literatur lange erhebliche Uneinigkeit.
Der BGH hat der teilweise vertretenen Auffassung, die Sorgerechtsvollmacht stelle regelmäßig eine Ermächtigung analog § 125 Abs. 2 S. 2 HGB dar, eine Absage erteilt. Überzeugend führt der XII. Zivilsenat aus, dass es im Bereich der gesetzlichen (Gesamt-)Vertretung von Minderjährigen durch ihre Eltern nach § 1629 BGB an einer für eine analoge Anwendung von § 125 Abs. 2 S. 2 HGB erforderlichen planwidrigen Regelungslücke fehlt. Denn die gesetzlichen Regeln zur Stellvertretung nach §§ 164 ff. BGB finden unmittelbare Anwendung und ermöglichen neben der Bevollmächtigung von Dritten ebenfalls die Bevollmächtigung des einen Elternteils durch den anderen.
Rz. 7
Nach Auffassung des BGH besteht keine Notwendigkeit, dass der bevollmächtigte Elternteil außer im Namen des Kindes auch im Namen des vollmachtgebenden Elternteils handelt. Der bevollmächtigte Elternteil vertrete das Kind unmittelbar allein. Der BGH geht – ohne nähere Begründung – davon aus, dass die eigene gesetzliche Vertretungsmacht des handelnden Elternteils und die vom anderen Elternteil erteilte Untervollmacht zu einer einheitlichen Alleinvertretungsmacht führen. Im Ergebnis ist dies sachgerecht und vermeidet unnötigen Formalismus. Gerade die einheitliche Alleinvertretung war allerdings Konsequenz der vom BGH abgelehnten "Ermächtigungslösung", weswegen eine dogmatische Begründung der angenommenen einheitlichen Alleinvertretungsmacht durchaus angezeigt war. Im Schrifttum wird das bedauerliche Fehlen einer solchen Begründung, durch die Annahme geschlossen, dass aus der Entscheidung des BGH nur abgeleitet werden könne, dass er die Sorgerechtsvollmacht an einen Elternteil als Direktvertretung des Kindes verstanden haben möchte. Zutreffend weist Eicher darauf hin, dass dies jedenfalls insoweit stimmig sei, als beide Elternteile gemeinsam auch einen fremden Dritten zur alleinigen Direktvertretung des Kindes bevollmächtigen können.
b) Innenverhältnis
Rz. 8
Was das Innenverhältnis anbelangt, ist zwischen Sorgerechtsvollmachten unter Eltern und Sorgerechtsvollmachten an Dritte zu differenzieren.
aa) Innenverhältnis bei Sorgerechtsvollmachten unter Eltern
Rz. 9
Nachdem der BGH im Außenverhältnis zutreffend die Vorschriften der §§ 164 ff. BGB auf die Sorgerechtsvollmacht anwendet, stellt er weiter fest, dass sich aus der trotz Vollmachtserteilung fortbestehenden elterlichen Sorge nach §§ 1626 ff. BGB sod...