Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 9
Das mietfreie Wohnen im Eigenheim oder der Eigentumswohnung ist als Gebrauchsvorteil dem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen hinzuzurechnen, soweit der anzurechnende Nutzen die anzuerkennenden Kosten der Immobilie übersteigt (Wohnvorteil), siehe § 3 Rdn 82.
Rz. 10
Praxistipp:
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Der in die Unterhaltsberechnung einzustellende Wohnwert errechnet sich aus der Differenz zwischen dem anzurechnenden Nutzungsvorteil der Immobilie und den tatsächlichen abzugsfähigen Kosten für das Haus bzw. die Wohnung. |
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Beim Wohnwert handelt es sich nicht um (fiktive) Einkünfte aus Erwerbstätigkeit handelt, so dass auch kein Erwerbstätigenbonus abgezogen werden darf. |
Rz. 11
Bei der Anrechnung des Wohnwerts können zwei Gesichtspunkte durch die Zustellung des Scheidungsantrags berührt werden:
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die Höhe des anzurechnenden Wohnvorteils (objektive Marktmiete oder nur angemessener Nutzungsvorteil), |
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die Berücksichtigung von Tilgungsleistungen in bestehende Darlehensverbindlichkeiten. |
1. Bemessung des Nutzungsvorteils
Rz. 12
Im Regelfall wird mit der Zustellung des Scheidungsantrags deutlich, dass der antragstellende Ehegatte die Ehe als endgültig gescheitert ansieht. Entsprechendes kann aus der Zustimmung zum Scheidungsantrag des Gegners hergeleitet werden. Von diesem Zeitpunkt an ist dann nicht mehr nur der (niedrige) angemessene Wohnwert, sondern die objektiv erzielbare Miete für die konkrete Wohnung bzw. das konkrete Haus als Wohnvorteil unterhaltsrechtlich anzusetzen, also der Vermietungswert.
Rz. 13
Denn den in der Wohnung verbleibenden Ehegatten trifft in diesem Zeitraum grundsätzlich die ihm zumutbare unterhaltsrechtliche Obliegenheit eine anderweitige wirtschaftlich angemessene Nutzung des für ihn zu großen Hauses zu verwirklichen. Ausnahmen können greifen, wenn die Verwertung des Hauses objektiv unmöglich oder unwirtschaftlich ist oder vom unterhaltsberechtigten Ehegatten verhindert wird.
Rz. 14
Die Verletzung dieser Verwertungsobliegenheit führt dazu, dass in der Unterhaltsberechnung die volle objektive erzielbare Miete (nach Abzug der anzuerkennenden Unkosten der Wohnung) als fiktives Einkommen zur Anrechnung kommt.
Rz. 15
Praxistipp:
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Die Einreichung des Scheidungsantrags oder die Zustimmung zum Scheidungsantrag des Gegners kann also hier – nicht selten unvorhergesehene – Auswirkungen auf die Unterhaltsberechnung zeigen! |
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Der Zeitpunkt kann sich verschieben (siehe Rdn 13). |
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Der erzielbare Mietwert ist vielfach nicht ohne Sachverständigengutachten feststellbar. |
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Angesichts der meist recht hohen Kosten eines solchen Sachverständigengutachtens sollte der beratende Anwalt immer sorgfältig prüfen, ob sich die Einholung eines Gutachtens tatsächlich lohnt.
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Mitunter liegen die Vorstellungen beider Ehegatten nicht so weit auseinander, dass sich das auf das Ergebnis der Unterhaltsberechnung tatsächlich sehr deutlich auswirkt. |
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Zu bedenken ist weiter, dass ein jetzt erstrittener Titel über den Trennungsunterhalt lediglich für einen überschaubaren Zeitraum bis zur Rechtskraft der Scheidung wirkt. |
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Zudem muss die Wohnung oder das Haus ohnehin in vielen Fällen aus wirtschaftlichen Gründen verkauft werden (siehe § 3 Rdn 108). |
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Letztlich sollte bedacht werden, dass das Gericht die Kosten eines Sachverständigengutachtens durchaus abweichend von den übrigen Verfahrenskosten verteilen kann. Wer also einen überhöhten Wohnwert behauptet, der vom Gutachter nicht bestätigt wird, muss durchaus damit rechnen, im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung nach § 243 FamFG die Kosten des Gutachtens auferlegt zu bekommen, auch wenn der Antrag ansonsten weitgehend erfolgreich beschieden wird (vgl. § 96 ZPO). |
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2. Anrechnung von Tilgungsleistungen
Rz. 16
Bei den Tilgungsleistungen haben die Eigentümerverhältnisse eine Bedeutung. Sind die Eheleute Miteigentümer des Hauses, führt die Rückführung der Hausdarlehen zu einer Vermögenssteigerung bei beiden Eheleuten, bei Alleineigentum ist der andere in der Regel ab Zustellung des Scheidungsantrags an dem Vermögenszuwachs nicht mehr beteiligt.
Rz. 17
Nach der neueren Rechtsprechung des BGH können auch beim objektiven Wohnvorteil regelmäßig gezahlte Raten auf einen Kredit für die Ehewohnung in voller Höhe – also neben dem Zins auch die Tilgung berücksichtigt werden. Allerdings ist hier kein negativer Wohnwert anzuerkennen (ausf. s. § 14 Rdn 95).
Rz. 18