Rz. 92
Das Vollstreckungsgericht kann die einstweilige Einstellung auf Antrag des Schuldners gem. § 30a ZVG anordnen. Zweck der Regelung ist der zeitweilige Schutz des durch Art. 14 GG geschützten Eigentums des Schuldners durch zeitweilige Abwendung der Zwangsverwertung mittels Zwangsversteigerung.
Die Voraussetzungen sind:
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Es muss die Aussicht bestehen, dass durch die Verfahrenseinstellung die Versteigerung verhindert wird, d.h. der Schuldner muss sanierungsfähig sein. Nur dann kann eine dem Eigentumsschutz dienende Verfahrenseinstellung erfolgen. Es muss dementsprechend eine Prognose gestellt werden, an die strenge Anforderungen zu stellen sind. Aufgrund dieser Prognose muss sich ergeben, dass die Befriedigung des Gläubigers innerhalb eines überschaubaren Zeitraums mit Aussicht auf Erfolg abgeschlossen werden kann. Die entsprechenden Tatsachen sind vom Schuldner vorzutragen und ggf. glaubhaft zu machen. |
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In zeitlicher Hinsicht ist erforderlich, dass die begründete Aussicht auf Abwendung der Zwangsversteigerung innerhalb des nach § 30a ZVG längst möglichen Einstellungszeitraums von zwölf Monaten besteht. Nicht ausreichend ist der Nachweis von Umschuldungsverhandlungen. Eine Befriedigungsaussicht besteht nicht schon dann, wenn bloße Verkaufsabsichten bestehen oder Verkaufsgespräche geführt werden, oder ein Makler mit dem freihändigen Verkauf des Grundstücks beauftragt ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schuldner nicht Alleineigentümer des Grundstücks ist und nicht dargetan hat, dass die Zustimmung der Miteigentümer zum Verkauf erteilt wurde. Die Einstellung muss der Billigkeit entsprechen, und zwar nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners sowie nach der Art der Schuld. Bei der Art der Schuld ist insbesondere darauf abzustellen, ob der Anspruch evtl. aus einer unerlaubten Handlung oder aus Unterhaltsverpflichtungen herrührt. Bei dieser Art der Ansprüche sieht der Gesetzgeber vor, dass ein Schuldner bis an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit zu zwingen ist. Dies wird u.a. auch durch die Regelungen der §§ 850d Abs. 1, 850f Abs. 2 ZPO im Rahmen einer Lohnpfändung bekräftigt. |
Rz. 93
Materielle Einwendungen des Schuldners sind hingegen im Erkenntnisverfahren zu verfolgen und vom Prozessgericht zu entscheiden. Sie können im Vollstreckungsverfahren vor dem Vollstreckungsgericht nicht geltend gemacht werden. Das Vollstreckungsgericht hat die Zwangsvollstreckung nur einzustellen, zu beschränken oder aufzuheben, wenn ihm die Ausfertigung einer Entscheidung des Prozessgerichts über solche Einwendungen vorliegt. Einwendungen gegen die Vollstreckbarkeit eines Anspruchs hat der Schuldner im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage vorzubringen.
Rz. 94
Entfällt bereits das Erfordernis der Erfolgsaussicht, so sind die weiteren Kriterien erst gar nicht weiter durch das Gericht zu prüfen. Ein nicht mehr sanierungsfähiger Schuldner soll nicht auf Kosten der Gläubiger geschützt werden. Besteht dagegen Sanierungsfähigkeit, sind die anderen Voraussetzungen zu prüfen. Der Schuldner muss daher schutzwürdig sein. Bei der Billigkeitsprüfung spielen sowohl persönliche Verhältnisse, wie z.B. Scheidung, Tod von Familienmitgliedern, Krankheit, Arbeitslosigkeit etc., eine Rolle als auch wirtschaftliche Verhältnisse. Letztere können ihre Ursache in vorübergehenden Umständen haben, wie z.B. Naturgewalten (Erdbeben, Feuer-, Hochwasserschäden). Überwiegend haben hier somit Verhältnisse außerhalb des Lebensbereichs des Schuldners eine tragende Funktion. Dies können z.B. sein: Berufszweig, Geschäftsbereich oder seine besondere Lebenslage (dauerhafte Invalidität) sein.
Rz. 95
Nicht der Billigkeit entspricht eine Einstellung dann, wenn grob unwirtschaftliches Verhalten des Schuldners, große Fehlinvestitionen oder Fehlkalkulationen oder Fehlspekulationen vorliegen, wenn der Gläubiger dem Schuldner bereits durch langfristige Stundung entgegengekommen war, wenn der Schuldner die Erfüllung der Verbindlichkeit schon lange verschleppt hat oder wenn er die notwendigen Mittel zur sofortigen Befriedigung des Gläubigers zur Verfügung hat oder unverzüglich bereit stellen kann, beispielsweise durch zumutbare Kreditaufnahme
Rz. 96
Jedoch rechtfertigt nicht bereits das Vorliegen aller zuvor genannten Voraussetzungen eine einstweilige Einstellung. Denn darüber hinaus sind auch die Interessen des Gläubigers maßgeblich. Dies ergibt sich bereits aus § 30b Abs. 2 S. 2 ZVG, der bestimmt, dass der Gläubiger vor einer Entscheidung anzuhören ist. Es hat demnach eine Interessenabwägung zwischen den Beteiligten stattzufinden. Insofern ist die einstweilige Einstellung zu versagen, wenn sich hieraus ergibt, dass die Verfahrenseinstellung für den Gläubiger unzumutbar ist und diesem einen unverhältnismäßigen Nachteil bringt (§ 30a Abs. 2 S. 1 ZVG). Hierunter fallen z.B. eigene Verbindlichkeiten gegenüber eigenen Gläubigern oder der desolate Zustand eines Grundstücks, der bei einer Einstellung dazu führe...