Rz. 130
Durch § 57a ZVG wird dem Ersteher ein außerordentliches Kündigungsrecht gegenüber Mietern eingeräumt. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass bei der Zwangsversteigerung die Interessen des Mieters grundsätzlich denen des Realkredits untergeordnet werden müssen. Denn von Mietern genutzte Grundstücke werden sich ohne das Sonderkündigungsrecht in der Regel schlechter versteigern lassen und darum weniger gern beliehen. Der in § 566 BGB verankerte Grundsatz "Kauf bricht nicht Miete" gilt somit grundsätzlich auch im Zwangsversteigerungsverfahren. Durch den Zuschlag wird staatliches Eigentum verliehen, wobei dieser Verleihungsakt grundsätzlich zu den im Zwangsversteigerungsgesetz geregelten Bedingungen und mithin unter Einschluss des in § 57a ZVG normierten Sonderkündigungsrechts als einer gesetzlichen Versteigerungsbedingung erfolgt. Damit überlagern die öffentlich-rechtlichen Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes insoweit das Zivilrecht.
Rz. 131
Das Sonderkündigungsrecht ist gesetzliche Versteigerungsbedingung und kann nicht durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Vollstreckungsschuldner und dem Mieter durch z.B. Ausschluss der Eigenbedarfskündigung ausgeschlossen bzw. eingeschränkt werden. Der Mieter kann lediglich den gesetzlichen Kündigungsschutz, nicht jedoch einen darüber hinausgehenden "vertraglichen Mieterschutz" für sich in Anspruch nehmen.
Rz. 132
Der Mieter als Beteiligter nach § 9 Nr. 2 ZVG kann eine Änderung der gesetzlichen Versteigerungsbedingungen nur im Zwangsversteigerungsverfahren durch sog. abweichende Versteigerungsbedingungen nach § 59 Abs. 1 ZVG erreichen. Er muss daher darauf hinwirken, dass der Zuschlag auf ein Gebot erteilt wird, dem als Versteigerungsbedingung – abweichend von den gesetzlichen Bedingungen – der Ausschluss des Sonderkündigungsrechts des Erstehers zugrunde liegt. Stellt der Mieter einen solchen Antrag auf Abänderung der Versteigerungsbedingungen, erfolgt – wenn nicht sämtliche Beteiligte der Abweichung zustimmen – gem. § 59 Abs. 2 ZVG ein Doppelausgebot in der Weise, dass auf die gesetzliche Ausgebotsform mit dem außerordentlichen Kündigungsrecht des Erstehers und auf die abweichende Form, wonach das Sonderkündigungsrecht ausgeschlossen ist, geboten werden kann. Liegen Gebote sowohl auf das gesetzliche als auch auf das abweichende Ausgebot vor, sind diese in ihrem wirtschaftlichen Wert zu vergleichen. Lediglich wenn hiernach der Zuschlag auf das Gebot unter Ausschluss des Sonderkündigungsrechts erteilt wird, erwirbt der Ersteher nur mit diesem Inhalt das Eigentum und ist an der Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts gehindert.
Rz. 133
Hinweis
Nicht jede Mitteilung eines Mieters bzw. Pächters ist als eine Anmeldung i.S.v. § 9 Nr. 2 ZVG anzusehen. Äußerungen bspw. über Mietverträge können auch nur rein informatorischen Charakter haben. Ob wirklich eine Anmeldung nach § 9 Nr. 2 ZVG beabsichtigt ist, mit ihrer Folge, Verfahrensbeteiligte zu sein, auf die Versteigerungsbedingungen nach § 59 ZVG einzuwirken oder ein Ablösungsrecht nach § 268 BGB auszuüben, und mit dem Wunsch, alle Mitteilungen und Zustellungen zu erhalten und an Terminen teilzunehmen, muss das Gericht in jedem Einzelfall nach den vorgetragenen Umständen entscheiden. Allein der Wunsch, Mitteilung vom Verfahren und anberaumten Terminen zu erhalten, genügt daher nicht, um ein Anmeldung annehmen zu können.
Rz. 134
Der Ersteher hat gegenüber den Mietern bzw. Pächtern ein außerordentliches Kündigungsrecht zum ersten gesetzlichen Termin nach Erteilung des Zuschlags (§ 89 ZVG). Die Kündigungsfristen sind die gesetzlich festgelegten. Das Ausnahmekündigungsrecht geht verloren, wenn der Ersteher dieses Recht nicht ausnutzt (§ 57a S. 2 ZVG). Er ist also durch gegebenenfalls längere Kündigungsfristen "gefangen".
Dem Ersteher einer Wohnungseigentumseinheit steht das Sonderkündigungsrecht des § 57a ZVG gegenüber dem Mieter auch dann zu, wenn das versteigerte Wohnungseigentum Teil eines aus mehreren Wohnungseinheiten bestehenden und insgesamt für einen einheitlichen Zweck (hier: betreutes Wohnen) vermieteten Objekts ist. Der Ersteher kann von einem Mieter, der die Eigentumswohnung im Rahmen einer gewerblichen Weitervermietung an einen Endmieter zu Wohnzwecken vermietet hat, trotz Wirksamkeit der auf § 57a ZVG beruhenden Kündigung nicht Räumung und Herausgabe verlangen, weil der Endmieter wegen § 565 BGB unbeschadet dieser Kündigung zu Besitz und Nutzung berechtigt bleibt.
Rz. 135
Das Sonderkündigungsrecht ist praktisch bedeutsam bei Verträgen, die auf eine feste Mietzeit (§ 575a Abs. 3 BGB) abgeschlossen wurden, da in solchen Fällen auf Vermieter- und damit auf Ersteherseite vor Fristablauf eine Kündigung ausgeschlossen ist. Gleiches gilt für Verträge, die aufgrund Vertrages oder Gesetzes (§ 573c Abs. 1 S. 2 BGB) eine längere Kündigungsfrist nach sich ziehen.
Rz. 136
Bei Wohnraummietverhältnissen beschränkt sich der Vorteil des sonderkündigungsberech...