Rz. 398
Oftmals ist nach einer Versteigerung zu beobachten, dass trotz des Eigentumsübergangs der Ersteher die Immobilie häufig nicht nutzen kann, weil sich der bisherige Besitzer (= Schuldner) weigert, diese zu räumen. § 93 ZVG macht hier eine Räumungsklage überflüssig und ermöglicht die Zwangsvollstreckung unmittelbar aus dem Zuschlagbeschluss (Muster siehe Rdn 648). Der wirksame Zuschlagbeschluss als solcher stellt sowohl für den (neuen) Eigentümer als Gläubiger als auch nach Umschreibung gemäß § 727 ZPO für dessen Rechtsnachfolger bereits den notwendigen Vollstreckungstitel gegen den Schuldner dar. Es kommt daher weder auf die Rechtskraft des Zuschlagbeschlusses noch auf die Eintragung des Erstehers im Grundbuch oder die Zahlung des Meistgebotes an.
Rz. 399
Aus Sicht des Erstehers richtet sich die Räumungs- bzw. Herausgabevollstreckung gegen den aktuellen Eigentümer und den Besitzer des Grundstücks. Die genaue Bestimmung des oder der Besitzer ist für die Erteilung der Vollstreckungsklausel und die anschließende Zwangsvollstreckung von zentraler Bedeutung. Nur die in der Vollstreckungsklausel genannten Personen hat der Gerichtsvollzieher aus dem Besitz zu setzen. In Betracht kommen dabei:
(1.) |
der Eigentümer, der die Immobilie bewohnt oder nutzt, |
(2.) |
"Dritte", die zur Familie des Eigentümers gehören und Mitbesitzer sind, also z.B. Ehegatte, Lebensgefährte, Eltern oder Geschwister, |
(3.) |
Dritte, deren Besitzrecht durch die Zwangsvollstreckung untergegangen ist (§ 91 Abs. 1 ZVG), z.B. Begünstigte aus einem Nießbrauchs-, Wohnungs- oder Erbbaurecht und |
(4.) |
Mieter oder Pächter des Grundstücks. |
Rz. 400
Gegen den zu (1.) – noch eingetragenen – Eigentümer (= Schuldner) des Grundstücks muss die Vollstreckungsklausel nach § 724 BGB durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Vollstreckungsgerichts erteilt werden. Die Zustellung des Zuschlagbeschlusses erfolgt von Amts wegen nach § 88 ZVG. Der Nachweis kann durch die Zustellbescheinigung nach § 169 Abs. 1 ZPO erbracht werden. Auch bei den zu (2.) und (3.) Genannten handelt es sich um Personen, die in der Klausel genannt werden müssen.
Rz. 401
Hinweis
Zum Haushalt gehörende minderjährige Kinder, Gäste oder Hausangestellte üben kein selbstständiges Besitzrecht aus. Ob dies auch für volljährige Kinder gilt, ist streitig. Um der Streitfrage aus dem Weg zu gehen, sollte der Gläubiger bei der Beantragung der Vollstreckungsklausel diese auch auf die volljährigen Kinder erstrecken lassen.
Rz. 402
Besonderheiten sind bei Miet- und Pachtverhältnissen zu beachten. Nach § 57 ZVG i.V.m. § 566 BGB gehen diese auf den Ersteher über (vgl. auch Rdn 122 ff.), sodass die Zwangsvollstreckung nicht gegen den Mieter oder Pächter aus dem Zuschlagbeschluss betrieben werden kann. § 57a ZVG gibt dem Ersteher aber ein Sonderkündigungsrecht (vgl. auch Rdn 130 ff.). Der Ersteher muss, um den Mieter oder Pächter aus der Immobilie zu bekommen, die Kündigung bis zum ersten möglichen gesetzlichen Kündigungstermin aussprechen. Danach gelten die meist nachteiligeren (weil längerfristigeren) vertraglichen Vereinbarungen oder gesetzlichen Regelungen zu den Kündigungsterminen.
Rz. 403
Hinweis
Da das Miet- oder Pachtverhältnis nicht durch den Zuschlag erloschen ist, greift § 93 ZVG auch nach der Sonderkündigung nicht. Gegen den räumungsunwilligen Mieter oder Pächter muss daher Räumungsklage erhoben werden. Anders verhält es sich nur, wenn das Miet- oder Pachtverhältnis schon vor dem Zuschlag gekündigt wurde. Dann kann mit Ablauf der Kündigungsfrist aus dem Zuschlagbeschluss vollstreckt werden.
Rz. 404
Soll die Vollstreckung gegen weitere nicht im Grundbuch als Eigentümer verzeichnete dritte Personen (z.B. Familienangehörige) betrieben werden, so ist eine qualifizierte Klausel nach § 727 Abs. 1 ZPO notwendig. Diese ist nach § 20 Nr. 12 RPflG vom Rechtspfleger des Vollstreckungsgerichts zu erteilen. Problematisch ist dabei, dass der Besitz dieser Person durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden (§ 129 BGB) nachgewiesen werden muss. Eine Ausnahme besteht nur, wenn der Besitz offenkundig oder zugestanden (Argument aus § 730 ZPO) ist. Dies wird gerade bei Familienangehörigen oder Lebensgefährten oftmals der Fall sein.
Rz. 405
Hinweis
Ein Gläubiger, der die Zwangsversteigerung betrieben hat und das Grundstück ersteigern will, sollte schon bei der Erstellung des Verkehrswertgutachtens darauf achten, dass die tatsächliche Nutzung des Grundstücks unter Benennung der Besitzer beschrieben wird. So sind die Besitzverhältnisse für das Gericht offenkundig. Ansonsten kann die Mitteilung des Einwohnermeldeamtes als öffentliche Urkunde herangezogen werden. Lässt sich der Nachweis nicht führen, hilft allein die Klauselklage nach § 731 ZPO, die den Weg zu den allgemeinen Beweismitteln der ZPO eröffnet.
Rz. 406
Soll gegen weitere dritte Personen die Räumungs- oder Herausgabevollstreckung betrieben werden, so muss diesen der Zuschlagbeschluss im Parteibetrieb durch den Gerichtsvollzieher zu...