Dr. iur. Holger Bremenkamp
Rz. 48
Gemäß § 630h Abs. 1 BGB wird ein Fehler des Behandelnden vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat. Stammt die Schädigung aus einem Bereich, dessen Gefahren von dem Behandelnden voll beherrscht werden können und müssen, tritt eine Fehlerverschuldensvermutung zu Lasten des Arztes ein, die dieser zu entkräften hat. Es geht in der Sache um erfolgsbezogene Pflichten der Behandlerseite, die einen gefährlichen Zustand in ihrem Organisationsbereich geschaffen hat und daher nachweisen muss, dass alle zu dessen Vermeidung gebotenen Maßnahmen ergriffen wurden, und nicht um den Kernbereich des ärztlichen Handelns, in dem verhaltensbezogen gehaftet wird. Die Beweiserleichterung gilt auch nicht für den Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und Gesundheitsschaden, dessen Unaufklärbarkeit vielmehr zulasten des Patienten geht, wenn der Organisationsmangel nicht als grob zu qualifizieren ist.
Rz. 49
Die Beweislastregel des § 630h Abs. 1 BGB für voll beherrschbare Risiken greift im technisch-apparativen Bereich ein, wenn etwa das Narkosegerät nicht funktionstüchtig ist oder das Infusionssystem unbemerkt entkoppelt bleibt. Zum voll beherrschbaren Bereich gehören weiter Organisation und Koordination des Behandlungsbetriebs, dessen Gefahren sich etwa beim Zurücklassen eines Fremdkörpers in der Operationswunde, bei unsterilen Injektionen, bei verunreinigten Desinfektionsmitteln, beim Fehlen der erforderlichen Medikamente, bei intraoperativen Lagerungsschäden oder beim Sturz des Patienten beim Krankentransport bzw. aus dem Duschstuhl oder beim Aufstehen nach einer Operation verwirklichen. Maßgeblich ist stets, dass der Schadenseintritt nicht auf den dem Patienten zuzurechnenden Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus beruht, sondern sich Risiken verwirklicht haben, die dem voll beherrschbaren Gefahrenbereich der Behandlungsseite entstammen. Nicht voll beherrschbar ist die Einhaltung der empfohlenen EE-Zeit (Zeit zwischen Entscheidung zur Sectio und Entwicklung des Kindes).
Keine Beweislastumkehr kommt daher in Betracht, wenn sich eine Infektion auch bei Anwendung der hygienischen Sorgfaltsmaßnahmen nicht immer vermeiden lässt; das kann etwa gelten, wenn der Keim durch einen Mitpatienten übertragen wurde. Allerdings sind an die Substantiierungspflichten des Patienten im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen zu stellen und darf sich der Patient deshalb zunächst auf Vortrag beschränken, der die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet. Steht der Patient, was bei der Behauptung eines Hygieneverstoßes regelmäßig der Fall ist, außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs, trifft die Behandlerseite die sekundäre Darlegungslast zu den von ihr konkret ergriffenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Hygiene und zum Infektionsschutz im Krankenzimmer, etwa durch Vorlage von Desinfektions- und Reinigungsplänen sowie der einschlägigen Hausanordnungen und Bestimmungen des Hygieneplans. Genügt die Behandlerseite ihrer sekundären Darlegungslast, hat der Patient freilich zu beweisen, dass die Hygienevorgaben unzureichend waren oder gegen sie im Einzelfall verstoßen wurde.