Rz. 60

Schließlich können Unzulänglichkeiten der Dokumentation der medizinischen Behandlung zu Beweiserleichterungen zugunsten des Patienten führen: Gemäß § 630h Abs. 3 BGB wird vermutet, dass eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme nicht getroffen wurde, wenn die Maßnahme und ihr Ergebnis entgegen § 630f Abs. 1 oder Abs. 2 BGB nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder die Patientenakte entgegen § 630f Abs. 3 BGB nicht aufbewahrt wurde (Aufbewahrungsfrist: zehn Jahre nach Abschluss der Behandlung). Die fehlende Dokumentation einer medizinisch gebotenen wesentlichen Maßnahme und ihres Ergebnisses indiziert also, dass die Maßnahme unterblieben ist.[221] Diese im Rahmen des Behandlungsfehlernachweises eingreifende Vermutung setzt jedoch voraus, dass die Aufzeichnung aus medizinischen Gründen geboten war: Es geht um aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentliche Maßnahmen und deren Ergebnisse, insbesondere Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen sowie um Arztbriefe (§ 630f Abs. 2 BGB). Ist eine Dokumentation dagegen medizinisch nicht erforderlich, so ist sie auch aus Rechtsgründen nicht geboten mit der Folge, dass aus der unterbliebenen Dokumentation keine beweisrechtlichen Folgerungen gezogen werden können.[222] Aufzuführen sind die wesentlichen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, der Behandlungsverlauf sowie die an das Pflegepersonal gerichteten Anordnungen.[223] Dagegen müssen Routinemaßnahmen nicht dokumentiert werden[224] und darf der Operationsbericht auch "recht knapp" sein.[225]

 

Rz. 61

Grundsätzlich führt eine unterlassene oder lückenhafte Dokumentation zwar nicht zur Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs. Die Verletzung der Dokumentationspflicht als solche ist kein Behandlungsfehler.[226] In vielen Fällen hängt die Annahme eines groben Behandlungsfehlers aber davon ab, ob der Zustand des Patienten Anlass zu bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen geben musste. Das aufgrund fehlender Dokumentation zu vermutende Unterlassen einer gebotenen Maßnahme kann den Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers begründen und damit auch für den Kausalitätsnachweis von Bedeutung sein.[227]

[222] BGHZ 129, 6, 9; BGH, Urt. v. 23.3.1993 – VI ZR 26/92, VersR 1993, 836; OLG Hamm, Beschl. v. 11.12.2013, juris Rn 6; OLG Nürnberg, Urt. v. 20.4.2017 – 5 U 458/16, MDR 2017, 998; OLG Köln, Beschl. v. 8.1.2018 – 5 U 144,17, juris; zur Unschädlichkeit der Nichtdokumentation des ärztlichen Abwägungsvorgangs OLG Köln, Urt. v. 15.12.2018 – 5 U 195/17, juris; Staudinger/Hager, § 823 Rn I 72.
[223] BGH, Urt. v. 24.1.1989 – VI ZR 170/88, NJW 1989, 2330; BGH, Urt. v. 3.11.1998 – VI ZR 253/97, VersR 1999, 231; BGH, Urt. v. 6.7.1999 – VI ZR 290/98, NJW 1999, 1265 Rn 13.
[224] BGH, Urt. v. 24.1.1995 – VI ZR 60/94, VersR 1995, 539; Desinfektion der Haut vor Injektion: OLG Köln, Urt. v. 25.2.1998 – 5 U 144/97, NJW 1999, 1790.
[226] MüKo/Wagner, § 630h Rn 65.
[227] BGHZ 129, 6, 10; BGHZ 138, 1, 5; BGH, Urt. v. 23.3.1993 – VI ZR 26/92, NJW 1993, 2375, 2376; BGH, Urt. v. 27.9.1994 – VI ZR 284/93, NJW 1995, 779; BGH, Urt. v. 6.7.1999 – VI ZR 290/98, NJW 1999, 3408; Staudinger/Hager, § 823 Rn I 72; MüKo/Wagner, § 630h Rn 66.

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