Dr. iur. Holger Bremenkamp
Rz. 43
Die Beweislast für einen auf einen Behandlungsfehler gestützten Anspruch folgt zunächst dem allgemeinen Grundsatz, dass der Anspruchsteller (Patient) den Nachweis der Pflichtverletzung (des Behandlungsfehlers), deren Kausalität für die Schädigung und des Verschuldens zu erbringen hat, also den Nachweis sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen. Andernfalls würde dem Arzt eine Garantie für den Heilerfolg aufgebürdet, den er gerade nicht schuldet: Das allgemeine Risiko des ärztlichen Eingriffs verbleibt vielmehr in der Sphäre des Patienten; der therapeutische Misserfolg lässt schon angesichts der Unberechenbarkeit des lebenden Organismus den Schluss auf einen ärztlichen Fehler nicht zu. Dementsprechend findet im Kernbereich des ärztlichen Handelns keine Beweislastumkehr gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB statt. Umgekehrt hat nach den allgemeinen Regeln der Arzt den Einwand des Mitverschuldens darzutun und zu beweisen. Daran hat die Kodifikation des Behandlungsvertrags nichts geändert.
Rz. 44
Für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Behandlungsfehler und gesundheitlichem Primärschaden ist der Strengbeweis nach § 286 ZPO zu führen. Gefordert wird ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit. Die Beweisführung wird durch das dem Patienten auch vorprozessual zustehende Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen des Arztes erleichtert, das in § 630g BGB geregelt ist: Einsicht ist in die vollständige Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Gründe Dritter entgegenstehen. Der Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität, die die Weiterentwicklung der Schädigung (Sekundärschaden) und die Frage der Schadenshöhe betrifft, richtet sich hingegen nach § 287 ZPO (Freibeweis); zur Überzeugungsbildung kann eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen. Für den Nachweis der Kausalität des Primärschadens für einen Sekundärschaden genügt es, dass der Sekundärschaden typische Folge des Primärschadens ist.
Rz. 45
Die Rechtsprechung hat zahlreiche Ausnahmen vom Grundsatz der Beweislast des Patienten entwickelt, insbesondere für den Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität. Damit soll den spezifischen Beweisschwierigkeiten des Patienten im Arzthaftungsprozess begegnet werden, die aus dessen zumeist nur begrenzt möglichem Einblick in das Tun des Arztes und aus dem überlegenen Fachwissen des Arztes resultieren. So hat kraft richterlicher Rechtsfortbildung eine Verlagerung der Beweislast im Arzthaftungsprozess breiten Raum gewonnen, in der teilweise eine Durchbrechung des Verschuldensprinzips gesehen wird. Trotz vereinzelter kritischer Stimmen in der Literatur wird man aber sagen können, dass die Rechtspraxis der Beweislastverteilung im Arzthaftpflichtprozess alles in allem den Beweisschwierigkeiten nicht nur des Patienten, sondern auch des Arztes angemessen Rechnung trägt und dem rechtsstaatlichen Gebot der Waffengleichheit im Prozess entspricht. Nachfolgend werden die zugunsten des Patienten in Betracht kommenden Beweiserleichterungen in Fallgruppen dargestellt:
1. Anscheinsbeweis
Rz. 46
Deutet ein Gesundheitsschaden nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf einen Behandlungsfehler hin, kann zugunsten des Patienten eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises eingreif...