Rz. 341

Eine zentrale Rolle im Beweisverfahren des Zivilprozesses spielt das Sachverständigengutachten, da es sich häufig als das zuverlässigste Beweismittel herausstellt.

 

Rz. 342

Nicht selten lässt sich feststellen, dass das Ergebnis eines eingeholten Sachverständigengutachtens zugleich die Vorwegnahme der gerichtlichen Entscheidung bedeutet. Dies liegt darin begründet, dass das Gericht von dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens nur abweichen darf, wenn es den Sachverständigen zuvor zur Erläuterung seines Gutachtens geladen oder zur Fertigung eines Ergänzungsgutachtens aufgefordert hat und über eigene Sachkunde verfügt, die im Einzelnen darzulegen und zu begründen ist. An Letzterem wird es regelmäßig fehlen.

 

Rz. 343

Der Vorteil des Sachverständigengutachtens als Beweismittel ist darin zu sehen, dass diese Beweisform eine verlässlichere Grundlage für die objektiv richtige Entscheidung des Rechtsstreites darstellt. Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Sachverständige sachkompetent den Sachverhalt vollständig zur Kenntnis nimmt. Nachteilig wirkt sich aus, dass die Begutachtung durch einen Sachverständigen regelmäßig kosten- und zeitintensiv ist.

a) Die Anordnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens

 

Rz. 344

Die Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens kann von Amts wegen nach § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO oder aber auf Antrag[212] einer Partei nach § 403 ZPO erfolgen.

 

Rz. 345

In beiden Konstellationen ist es erforderlich, dass hinreichend dargelegt ist, aufgrund welcher Tatsachen eine sachverständige Begutachtung erforderlich ist. Eine solche Notwendigkeit kann entfallen, wenn Privatgutachten von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vorgelegt werden und diese vom Gegner nicht substantiiert angegriffen werden. Liegen dagegen mehrere Privatgutachten vor, die sich in wesentlichen Punkten widersprechen, darf das Gericht nicht einem Privatgutachter folgen. Vielmehr ist ein gerichtliches Gutachten einzuholen.[213] Dabei muss sich der gerichtlich bestellte Sachverständige auch mit den bereits vorliegenden Privatgutachten auseinandersetzen.

 

Rz. 346

Eine sachverständige Begutachtung ist weiter nicht erforderlich, wenn das Gericht über eigene Sachkunde verfügt. Dabei lässt sich in der Praxis leider immer wieder feststellen, dass die Gerichte ihre Sachkunde auf nichtjuristischem Gebiet überschätzen.

 

Rz. 347

 

Hinweis

Viele Richter beschaffen sich zusätzliche Fachinformationen im Internet. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, soweit die Zusatzinformationen genutzt werden, um Gutachten auf ihre Schlüssigkeit zu prüfen und ggf. dem Sachverständigen weitere kritische Fragen zu seinem Gutachten zu stellen. Entgegenzutreten ist dem aber, wenn das Gericht deshalb der Auffassung ist, auf eine Begutachtung durch einen Sachverständigen verzichten und eigene Sachkunde in Anspruch nehmen zu können.

 

Rz. 348

Erforderlich ist in jedem Fall, dass das Gericht die Parteien darauf hinweist, dass es die Einholung eines Sachverständigengutachtens für nicht erforderlich hält, weil es über die eigene Sachkunde verfügt.[214] Dabei ist auch erforderlich, dass darauf hingewiesen wird, aus welchen Umständen sich diese eigene Sachkunde des Gerichts ergibt. Allein der Hinweis auf das Studium von Fachliteratur soll dabei nicht ausreichen.[215] Dies gilt auch unter Ausnutzung der erweiterten Recherchemöglichkeiten des Internets.[216] Auch der bloße Hinweis auf eigene Sachkunde und Lebenserfahrung reicht nicht.[217]

 

Rz. 349

Der Bundesgerichtshof verlangt darüber hinaus, dass die eigene Sachkunde auch im Urteil dargelegt wird.[218]

 

Rz. 350

 

Tipp

Soweit das Gericht die Parteien darauf hinweist, dass es aufgrund eigener Fach- und Sachkunde die Einholung eines Sachverständigengutachtens für nicht erforderlich erachtet, sollte der Bevollmächtigte beantragen, dass das Gericht darlegt, in welcher Art und Weise das Gericht die aufgeworfenen Fachfragen beurteilt. Wie bei einer Einholung des schriftlichen oder mündlichen Sachverständigengutachtens muss es der Partei nämlich möglich sein, zu der Beurteilung Stellung zu nehmen und diese auch durch ein möglicherweise vorzulegendes Privatgutachten zu erschüttern. Eine andere Verfahrensweise beeinträchtigt den verfassungsrechtlich gestützten Anspruch auf rechtliches Gehör.

 

Rz. 351

 

Hinweis

Dem Gericht ist es verwehrt, schwierige technische oder medizinische Fragen aufgrund der Anwendung eigener Sachkunde zu beantworten.[219]

 

Rz. 352

Dagegen ist die (auch stillschweigende) Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens nur dann fehlerhaft, wenn die Persönlichkeit des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel an der Sachkunde des Gerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit berechtigt sind.[220]

 

Rz. 353

Entscheidet das Gericht den Rechtsstreit aufgrund eigener Sachkunde, obwohl die Partei ein Sachverständigengutachten für erforderlich gehalten hat, kann dies als Rechtsanwendungsfehler in Form eines Verfahrensfehlers gerügt werden. Dies stellt in diesem Sinne einen Berufungsgrund nach § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO dar.

 

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