Rz. 25

Vielmehr muss das Gericht, wenn es einem Sachverständigengutachten nicht folgen will, seine abweichende Überzeugung begründen und dabei erkennen lassen, dass die Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist.

Zitat

"Sicherlich mußte und durfte das Berufungsgericht diese Beurteilung nicht unbesehen übernehmen. Gutachten von Sachverständigen unterliegen nach § 286 I ZPO der freien Beweiswürdigung; Das Gericht kann von ihnen abweichen, wenn es von ihrer Richtigkeit nicht überzeugt ist. Die Aufgabe des Tatrichters, solche Gutachten sorgfältig und kritisch zu überprüfen, berechtigt ihn jedoch nicht, die sachverständigen Äußerungen ohne ausreichende Begründung bei Seite zu schieben. Vielmehr muß das Gericht, wenn es einem Gutachten nicht folgen will, seine abweichende Überzeugung begründen, und diese Begründung muss erkennen lassen, daß die Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist. Sie ist revisionsrechtlich dahin zu überprüfen, ob das Gericht sich mit der Aussage des Gutachters hinreichend auseinandergesetzt und seine dazu erforderliche Sachkunde ausreichend dargetan hat. Denn da der Sachverständige ja gerade zu dem Zweck hinzugezogen worden ist, um dem Gericht die ihm auf einem Spezialgebiet fehlenden Kenntnisse zu vermitteln, muss der Richter sorgfältig prüfen, ob er seine Zweifel an dem Gutachten ohne weitere sachkundige Hilfe zur Grundlage eines Gutachtens machen kann; dies etwa deshalb, weil er bereits durch die ihm vom Sachverständigen vermittelte sachliche Information dazu befähigt worden ist. Fehlt es hieran und verschließt sich das Gericht der zwingenden Erwägung, zur Klärung seiner Bedenken den Sachverständigen zu einer Ergänzung oder mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu veranlassen oder einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen, so bewegt es sich bei dieser Überzeugungsbildung außerhalb des dem richterlichen Ermessen eingeräumten Bereichs."[38]

 

Rz. 26

Wenn es um Personenschäden geht, werden regelmäßig medizinische Gutachten eingeholt. Gerade Juristen, die vielfach mit Personenschäden beschäftigt sind, werden im Laufe der Zeit häufig zu "halben" Medizinern. Sie neigen daher dazu, ihre durch Prozesse und andere Sachverständigengutachten erworbenen Kenntnisse zur Anwendung zu bringen. Hier ist jedoch besondere Vorsicht geboten.

Der Jurist kann normalerweise nur über theoretische Kenntnisse verfügen. Ihm fehlt insbesondere die medizinische forensische Tätigkeit, so dass seine Erkenntnismöglichkeiten von vornherein beschränkt sind.

Zitat

"Der Hinweis auf Ausführungen in medizinischen Lehrbüchern ist weder dazu geeignet, die Sachkunde des Gerichts zu begründen, noch dazu, Teile der Sachverständigengutachten und vor allem deren Schlussfolgerungen zu widerlegen. Die kritische Überprüfung ärztlicher Gutachten ist allerdings eine wichtige und unentbehrliche Aufgabe für den Tatrichter; ein Mittel dazu kann durchaus das Studium einschlägiger Fachliteratur sein. Nur darf der Tatrichter so erworbene, notwendigerweise bruchstückhafte Kenntnisse nicht über die Ausführungen des Fachmannes stellen. Er darf und soll sie ihm vorhalten, wenn er Lücken und Widersprüche in den medizinischen Ausführungen des Sachverständigen vermutet."

In aller Regel wird sich der Tatrichter aber erst nach einer Stellungnahme des Sachverständigen und gegebenenfalls nach einem Gespräch in der mündlichen Verhandlung in die Lage versetzen können, Inhalt und Wert des Gutachtens zu erfassen, um ein eigenes Urteil über zu beurteilende Sachfragen zu gewinnen. Auch dann wird er noch vorsichtig sein und, solange bei ihm Zweifel bestehen, versuchen müssen, sich weiter sachkundig zu machen. Das hier vom Berufungsgericht gewählte Verfahren, mit einem aus notwendigerweise generalisierten Lehrbüchern erworbenem Wissen ein von den sachverständigen Fachärzten abweichendes medizinisches Urteil zu fällen, ist jedenfalls mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) nicht mehr vereinbar.“[39]

Zitat

"Es standen sich somit widersprechende Stellungnahmen zweier Sachverständiger gegenüber, wobei diese Stellungnahmen jeweils vom Direktor einer Universitätsklinik bzw. eines Akademischen Lehrkrankenhauses stammen, beide Sachverständige auf dem hier maßgeblichen Sachgebiet tätig sind und an ihrer fachlichen Qualifikation keine begründeten Zweifel bestehen. Unter diesen Umständen durfte das Erstgericht nicht ohne weitere Aufklärung der Widersprüche die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zugrunde legen."[40]

Ohnehin kommt es häufig vor, dass Gerichte aufgrund eigener Sachkunde komplizierte technische oder medizinische Fragen beantworten. Der Bundesgerichtshof hat gegenüber derartigen Unterfangen große Skepsis. Von daher verlangt er von den Gerichten, dass sie ihre eigene Sachkunde, auf die sie sich dann regelmäßig stützen, im Einzelnen darlegen, und zwar noch während des Verfahrens.[41]

Zitat

"Das Berufungsgericht hätte sich mit diesem Vorbringen auseinandersetzen und den Beweisantrag bescheiden, zu...

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