Dr. iur. Stephanie Herzog
Rz. 1
Wird ein Streit über eine Nachlassverbindlichkeit prozessual ausgetragen, so ist besonderes Augenmerk auf die eingangs schon skizzierten (§ 4 Rdn 54 ff.) prozessualen Besonderheiten zu legen. Auch hierin kommt zum Ausdruck, dass der Erbe grundsätzlich unbeschränkt auch mit seinem Eigenvermögen, aber beschränkbar auf den Nachlass für die Nachlassverbindlichkeiten haftet: Beachtet er die prozessualen Besonderheiten nämlich nicht, so verliert er die Haftungsbeschränkungsmöglichkeit dem klagenden Gläubiger gegenüber. Die Aufnahme eines Vorbehaltes ist unabdingbar zum Erhalt der Haftungsbeschränkungsmöglichkeit. Im Einzelnen:
Rz. 2
Die Nachlassgläubiger können den gemäß § 1967 Abs. 1 BGB passiv-legitimierten Erben verklagen oder einen bereits gegen den Erblasser erstrittenen Titel auf den Erben gemäß § 727 ZPO umschreiben lassen. Mit einem in der einen oder anderen Weise erwirkten Titel gegen den Erben können Nachlassgläubiger – nach der Annahme – auch in das Eigenvermögen des Erben vollstrecken. Über die materiell-rechtliche Einrede der Haftungsbeschränkung wird grds. nicht im Erkenntnisverfahren gestritten, sondern erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung, §§ 785, 781 ZPO.
Rz. 3
Um sich später – im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens – die Möglichkeit nach den Vorschriften des BGB, die seine Haftung gegenständlich auf den Nachlass beschränken, auch prozessual offen zu halten, muss der Erbe aber bereits im Erkenntnisverfahren Vorsorge treffen. Die Möglichkeit, sich i.R.d. Zwangsvollstreckung auf die haftungsbeschränkenden Einreden zu berufen, behält er grundsätzlich nur dann, wenn er einen Vorbehalt in das Urteil aufnehmen lässt, § 780 Abs. 1 ZPO; versäumt er dies, wird seine vorläufig unbeschränkte Haftung eine endgültige.
Hinweis
Der Rechtsanwalt muss in jedem Fall die haftungsbeschränkenden Einreden im Erkenntnisverfahren erheben und im Urteil vorbehalten lassen, um eine eigene Haftung auszuschließen. Diese Verpflichtung besteht nach ständiger (auch höchstrichterlicher) Rechtsprechung selbst dann, wenn eine Überschuldung des Nachlasses (noch) nicht im Raume steht!
Rz. 4
Die Tatsache, dass es auf die Haftungsbeschränkungseinreden erst im Stadium der Zwangsvollstreckung ankommt, führt dazu, dass die haftungsbeschränkenden Einreden im Erkenntnisverfahren grundsätzlich nicht geprüft werden (siehe Rdn 28). Der Vortrag einer Haftungsbeschränkung auf den Nachlass führt also nicht dazu, dass die Klage gegen den Erben (teilweise) abgewiesen wird.
Noch nicht einmal sind die Vollstreckungsmöglichkeiten des Gläubigers aus einem Vorbehaltsurteil nach §§ 780 Abs. 1, 305 ZPO auf den Nachlass beschränkt. Vielmehr kann der Nachlassgläubiger aus einem solchen Titel auch in das Eigenvermögen des Erben vollstrecken. Das Gericht prüft im Erkenntnisverfahren nur, ob ein Vorbehalt aufgenommen werden kann. Einzige Voraussetzung dafür ist, dass es sich bei der eingeklagten Forderung um eine reine Nachlassverbindlichkeit handelt, bezüglich derer eine Haftungsbeschränkung möglich ist (siehe Rdn 28 ff.).
Rz. 5
Auch wenn ein Nachlassgläubiger aus einem Vorbehaltsurteil vollstreckt, erfolgt keine Prüfung der Haftungsbeschränkung von Amts wegen oder gar durch das Vollstreckungsorgan. Ein Gericht wird sich erst damit beschäftigen, wenn der Erbe die Einwendung der Haftungsbeschränkung (§ 781 ZPO) nach § 785 ZPO im Rahmen einer von ihm zu erhebenden Vollstreckungsabwehrklage analog § 767 ZPO, mit der er sich gegen die Zwangsvollstreckung (in sein Eigenvermögen) zur Wehr setzt, geltend macht. Der Erbe muss also (grundsätzlich, zu Ausnahmen siehe Rdn 17 ff.) einen zweiten Prozess mit umgekehrten Parteirollen führen. Dies hat den haftungsbeschränkenden Regeln im Erbrecht den Ruf eingebracht, im gesetzlichen Regelfall zu einer Klagewelle zu führen, die "einen Menschen zugrunde richten kann".
Erst im Rahmen dieses zweiten Rechtsstreits erfolgt grundsätzlich die Prüfung, ob der Erbe wirksam eine Haftungsbeschränkung herbeigeführt hat; denn erst jetzt müssen die Voraussetzungen für eine Haftungsbeschränkung wirksam durch den Erben herbeigeführt worden sein.
Hinweis
Die vom Gesetz vorgesehene Aufteilung verschafft dem Erben neben Mühen also auch Zeit.
Rz. 6
Auch wird erst jetzt geprüft, ob der Gegenstand, in den vollstreckt wurde, zum (infolge wirksam eingetretener Haftungsbeschränkung nicht haftenden) Eigenvermögen oder zum (gegenständlich beschränkt haftenden) Nachlass gehörte. Dies ist folgerichtig, war doch eine solche Prüfung zuvor gar nicht möglich; denn es stand bisher nicht fest, in welche Vermögensmasse der Gläubiger vollstrecken würde.