Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 1
→ Dazu Aufgaben Gruppe 23
Die Verfahren in Familiensachen – das sind in diesem Kapitel im Wesentlichen Ehe-, Kindschafts-, Abstammungs- und Unterhaltssachen – wurden im Jahr 2009 zu einem einheitlichen Familienverfahrensrecht zusammengefasst durch das "Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit" vom 17.12.2008, Kurzbezeichnung "FGG-Reformgesetz" oder noch kürzer "FGG-RG".
Außerdem wurde auch die Berechnung der Gerichtskosten in diesen Angelegenheiten neu geregelt im "Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen" ("FamGKG").
Das FGG-Reformgesetz schuf zwei Gesetze, nämlich
Der Kerngedanke des familiengerichtlichen Verfahrens liegt in der vorsorgenden Rechtspflege, also der Fürsorge des Gerichts für die Beteiligten – insbesondere für die Kinder – und in der erheblichen staatlichen Verantwortung zum einen für die rechtliche Korrektheit der gerichtlichen Entscheidung und zum anderen dafür, dass die gerichtlichen Entscheidungen dem jeweils zu beurteilenden Sachverhalt angemessen sind. Das Verfahren nach der ZPO würde diesen Zwecken nicht genügend entsprechen, da es zu sehr auf den Verhandlungsgrundsatz abstellt.
Rz. 2
Trotzdem gibt es wegen der sehr unterschiedlichen von den Familiengerichten zu entscheidenden Sachverhalte auch im FamFG gewisse Elemente des Verfahrensrechts der ZPO. Neben dem schwerpunktmäßig in den Familiensachen anzuwendenden Untersuchungsgrundsatz (Grundsatz der Amtsermittlung) existiert in bestimmten Angelegenheiten auch der in der ZPO vorherrschende Verhandlungsgrundsatz (Beibringungsgrundsatz). So ist es in einer Familiensache, in der es vornehmlich nur um Geld geht, wie z. B. im Verfahren über Unterhalt, auch möglich, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Versäumnisentscheidung ergeht. Bei einer Entscheidung z. B. über das Sorgerecht – die nur dem Wohle des Kindes dient – wäre es selbstverständlich undenkbar, dass die Entscheidung getroffen wird, nur weil ein Beteiligter einen Termin versäumt hat.
Grundsätzlich ist es bei den Verfahren in Familiensachen wegen der besonderen Merkmale dieser Verfahrensgegenstände erforderlich gewesen, eine eigene Verfahrensordnung zu schaffen, in der Elemente, die ihrem Wesen nach eher in der ZPO angebracht sind, nur eine ergänzende Rolle spielen können. Der im FamFG vorherrschende Grundsatz ist also der Untersuchungsgrundsatz; der Verfahrensgrundsatz findet nur ergänzend in bestimmten Angelegenheiten Anwendung.
Rz. 3
Exkurs:
An dieser Stelle sollen die beiden miteinander konkurrierenden Verfahrensgrundsätze vorgestellt werden. Der Verhandlungsgrundsatz beherrscht in der ZPO die Verfahrensabläufe, wogegen die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Wesentlichen dem Untersuchungsgrundsatz unterliegen.
Rz. 4
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Verhandlungsgrundsatz: Im Zivilprozess müssen die Prozessparteien nach den Regeln der ZPO den Streitstoff selbst in den Prozess einbringen. Es wird deshalb auch als Beibringungsgrundsatz bezeichnet. Das Gericht darf bei seinem Urteil nur die von den Parteien vorgebrachten Anträge und Tatsachen berücksichtigen. Es prüft also nur die von den Prozessparteien vorgelegten Sachverhalte und Beweise, aber es forscht nicht von Amts wegen nach Beweismitteln. Die Begründung hierfür liegt darin, dass im Regelfall kein öffentliches Interesse daran besteht, in privatrechtlichen Beziehungen Tatsachen zu ermitteln. |
Rz. 5
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Untersuchungsgrundsatz: Er wird wegen der Pflicht des Gerichts zur Amtsermittlung auch als Ermittlungsgrundsatz bezeichnet. Hier ist das Gericht berechtigt und verpflichtet, Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln, ohne Rücksicht darauf, ob die Beteiligten entsprechende Anträge oder Vorträge vorgebracht haben. Wegen des hohen öffentlichen Interesses gilt der Untersuchungsgrundsatz in allen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, insbesondere auch in den meisten Familiensachen, also z. B. in Ehe-, Kindschafts- und Abstammungsverfahren. Begründet wird dies mit der besonderen Verantwortung des Gerichts für diese Art von Verfahren. |
Rz. 6
Dagegen verlaufen die Verfahren in so genannten ZPO-Familiensachen, die im Gesetz als Familienstreitsachen bezeichnet werden, grundsätzlich nach den Verfahrensvorschriften der ZPO; es handelt sich hierbei hauptsächlich um Unterhaltssachen und Güterrechtssachen (§§ 112, 113 FamFG) und die sonstigen Familiensachen nach § 266 FamFG, zu denen z. B. Schadenersatzansprüche von ehemals miteinander verlobten Personen gehören.
Rz. 7
Nach § 113 Abs. 1 FamFG werden in den Familiensachen neben bestimmten Verfahrensvorschriften des FamFG auch die Verfahrensvorschriften der ZPO über den Zivilprozess entsprechend angewandt. Verfahren in Familiensachen sind nach § 111 FamFG:
Rz. 8
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Ehesachen (§ 121 FamFG). Das sind Scheidungssachen, Verfahren ... |