Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 64
Selbstständige Familiensachen sind diejenigen, die nicht Folgesachen im Scheidungsverbund sind (§ 137 FamFG). Da über die Ehesache und die anhängigen Folgesachen im Verbund nach § 137 Abs. 1 FamFG zusammen verhandelt und entschieden wird, können selbstständige Familiensachen nur vor Anhängigkeit der Ehesache (Scheidung) oder nach Ausspruch der Scheidung durch das Familiengericht vorkommen.
Dass die Ehesache allein als selbstständige Familiensache existiert, ist unwahrscheinlich, da gemäß § 137 Abs. 2 S. 2 FamFG über den Versorgungsausgleich auch ohne Antrag entschieden wird. Dies wird auch Zwangsverbund genannt. Die Ehescheidung als Einzelverfahren kann z. B. dann vorkommen, wenn ein kinderloses Ehepaar den Versorgungsausgleich durch Ehevertrag ausgeschlossen hat.
Rz. 65
Selbstständige Familiensachen, die oft schon während der Trennungszeit anhängig gemacht werden, können sein: Unterhaltssachen, Ehewohnungssachen, Haushaltssachen, Güterrechtssachen und Kindschaftssachen (Sorgerecht, Umgangsrecht, Herausgabe).
Rz. 66
In den selbstständigen Familiensachen erwachsen dem beauftragten RA die Gebühren der Nrn. 3100 ff. VV RVG, also eine Verfahrensgebühr und eine Terminsgebühr. Daneben kann er bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Einigungsgebühr (Nrn. 1000, 1003 VV RVG) erhalten. Eine Einigungsgebühr entsteht deshalb, da es sich nicht um die Ehesache selbst handelt, denn die Aussöhnungsgebühr darf nur in Ehesachen berechnet werden. Auch andere für den normalen Zivilprozess geltende Bestimmungen des RVG sind anwendbar, also insbesondere die Nr. 3400 VV RVG (Gebühr des Verkehrsanwalts) oder die Nrn. 3401 und 3402 VV RVG (Gebühren des Terminsvertreters).
Beispiel:
Frau Käsbier hat ihren Ehemann verlassen. Herr Käsbier, der arbeitslos ist, verlangt einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 500,00 EUR (§ 1361 BGB) von seiner Frau, die Bürovorsteherin ist, und beauftragt RA Klecks, beim Familiengericht den Antrag auf Zahlung von Unterhalt bei Getrenntleben einzureichen. Bis zur Einreichung der Klage werden zwei Monate rückständiger Unterhalt beansprucht.
Im Termin wird verhandelt und sodann ein Vergleich abgeschlossen, demzufolge Frau Käsbier ihrem Mann, welcher seinerseits auf den rückständigen Unterhalt verzichtet, einen monatlichen Unterhalt von 460,00 EUR zahlt. RA Klecks berechnet die folgenden Gebühren:
Der Gegenstandswert berechnet sich nach § 51 Abs. 1, 2 FamGKG. Maßgeblich ist der Jahresbetrag des Unterhalts zuzüglich des rückständigen Betrags für die zwei Monate (12 x 500,00 EUR = 6.000,00 EUR + 1.000,00 EUR = 7.000,00 EUR). Siehe Rdn 41 ff.
Gegenstandswert: 7.000,00 EUR
1,3 |
Verfahrensgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG |
579,80 EUR |
1,2 |
Terminsgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG |
535,20 EUR |
1,0 |
Einigungsgebühr gem. §§ 2, 13 RVG, Nrn. 1000, 1003 VV RVG |
446,00 EUR |
20 % |
Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
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1.581,00 EUR |
19 % |
USt. gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7008 VV RVG |
300,39 EUR |
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1.881,39 EUR |
Bei der Einigungsgebühr sollten Sie bei der Feststellung des Gegenstandswertes immer an den Grundsatz denken: Vergleichswert ist in jedem Fall, worüber, nicht worauf man sich einigt! Bei Vergleichsabschluss innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens über den Gegenstand dieses Verfahrens entsteht die Einigungsgebühr gemäß Nrn. 1000 und 1003 VV RVG nur mit einem Gebührensatz von 1,0.
Beispiel:
Fortsetzung des Beispiels aus Rdn 42 (Eheleute Borstig). Frau Borstig beauftragt nun RA Klacks, während der Trennungszeit ein selbstständiges Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge über ihre vier Kinder auf sie einzuleiten. RA Klacks stellt einen entsprechenden Antrag beim Familiengericht. Daraufhin beantragt Herr Borstig die Regelung des Umgangsrechtes.
Außerdem beantragt Herr Borstig nun auch die Aufteilung der Haushaltsgegenstände. Der Wert dieser Haushaltssache wird vom Gericht gemäß § 48 Abs. 2 FamGKG auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
Im Termin hört das Gericht die Eltern gemäß § 160 FamFG im Beisein ihrer RAe an. Danach nimmt das Gericht gemäß § 159 FamFG eine Anhörung der Kinder vor, um festzustellen, an welchen Elternteil sie sich besonders gebunden fühlen, sowie einer Vertreterin des Jugendamtes zu dieser Frage (§ 163 FamFG).
Der Gegenstandswert für das Sorgerecht und das Umgangsrecht ermittelt sich nach § 45 FamGKG für die Regelung der elterlichen Sorge mit 4.000,00 EUR und für die Regelung des Umgangsrechtes ebenfalls mit 4.000,00 EUR. Siehe Rdn 24. Der Wert gilt auch bei mehreren Kindern und ist ein Festwert, da es kein Verfahren im Verbund ist. Das Gericht entscheidet über das Sorgerecht und das Umgangsrecht.
Über die Haushaltssache wird nicht streitig verhandelt und es wird ein Vergleich abgeschlossen, der zu gerichtlichem Protokoll gegeben wird. Die Gebühren von RA Klacks berechnen sich nach den gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 FamGKG zusammengerechneten Werten (2.000,00 EUR + 2 x 4.000,00 EUR) wie folgt:
Gegenstandswert: 10.000,00 EUR / 2.000,00 EUR