I. Allgemeines
Rz. 1
Im Gegensatz zur Vollerbschaft steht die Vor- und Nacherbschaft. Der Erblasser kann gemäß § 2100 BGB einen Erben in der Weise einsetzen, dass dieser erst Erbe wird, nachdem zunächst ein anderer (Vor-)Erbe geworden ist. Das bedeutet, dass der Vorerbe den ererbten Nachlass an den als Nacherben bestimmten Erben herauszugeben hat. Die Vor- und Nacherbschaft führt zu einer mehrfachen Beerbung, d.h. zunächst wird der Vorerbe, dann wird der Nacherbe Erbe des Erblassers. Insoweit spricht man auch davon, dass der Vorerbe nur "Erbe auf Zeit" ist. Die Erbschaft, die an den Nacherben herauszugeben ist, stellt beim Vorerben ein Sondervermögen dar und ist von diesem auch getrennt von seinem Eigenvermögen zu verwalten. Dem Vorerben stehen grundsätzlich die Nutzungen und dem Nacherben die Substanz der Erbschaft zu. Die Anordnung einer Nacherbfolge bietet sich in der Gestaltung dann an, wenn es bspw. um die Vermeidung eines Gläubigerzugriffs auf das Erbe oder um die Reduzierung von Pflichtteilsansprüchen bei sog. Patchwork-Situationen (vgl. Rdn 74) geht.
Rz. 2
Der Nachteil der Vor- und Nacherbschaft ist allerdings ihre rechtliche Kompliziertheit, insbesondere aufgrund der diversen Beschränkungen, denen der Vorerbe unterliegt, so dass Konflikte und Streitigkeiten unter den Erben quasi "vorprogrammiert" sind. Insbesondere die nur eingeschränkten Befreiungsmöglichkeiten (§ 2136 BGB) und die (durch den Vorerben) nicht mehr abänderbare Nacherbenanordnung (§ 2065 BGB), die eine Umverteilung des Nachlasses durch den Vorerben grundsätzlich ausschließt, stellen die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft in der Praxis vor eine schwierige Gestaltungsabwägung. So kann der Vorerbe bspw. weder vom Schenkungsverbot des § 2113 Abs. 2 BGB befreit werden noch vom Surrogationsgrundsatz des § 2111 BGB und der Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz (§ 2138 Abs. 2 BGB).
Dem Erblasser und dem Gestalter muss daher bewusst sein, dass dem Vorerben grundsätzlich nur die Nutzungen (vgl. nachfolgend Rdn 3 und 4) und dem Nacherben die Substanz der Erbschaft zusteht. Der Schwierigkeit einer Abgrenzung zwischen Vollerbschaft und Vorerbschaft bzw. zwischen Vorerbschaft und Nießbrauch ist daher auch durch eine exakte testamentarische Formulierung Rechnung zu tragen. Die Auslegungsregel des § 2269 BGB lässt insoweit erkennen, dass das Gesetz eine Vor- und Nacherbschaft möglichst vermeiden will.
II. Die Nutzungen und Kosten bei der Vorerbschaft
Rz. 3
Nach § 2111 Abs. 1 S. 1 BGB stehen dem Vorerben die Nutzungen der Erbschaft zu. Als Ausgleich dafür hat der Vorerbe aber die gewöhnlichen Erhaltungskosten nach § 2124 Abs. 1 BGB zu tragen. Was Nutzungen sind, bestimmt sich nach § 100 BGB. Zu beachten gilt, dass Nutzungen nicht in den Nachlass fallen, sondern unmittelbar an den Vorerben (in dessen Eigenvermögen). Der Vorerbe kann die Nutzungen daher dem Nachlass entnehmen. Entnimmt er sie zunächst nicht, kann er dies jederzeit nachholen. Als maßgeblicher Zeitraum für die Nutzungen wird in der Literatur das Kalenderjahr angesehen.
Rz. 4
Welche Kosten der Vorerbe und welche der Nacherbe zu tragen hat, regeln die §§ 2124–2126 BGB. Dabei wird unterschieden zwischen Erhaltungskosten (§ 2124 BGB), sonstigen Verwendungen (§ 2125 BGB) und außerordentlichen Lasten (§ 2126 BGB).
Die gewöhnlichen Erhaltungskosten hat der Vorerbe zu tragen (§ 2124 Abs. 1 BGB). Hierzu gehören auch die gewöhnlichen Lasten der Erbschaft. Gewöhnliche Erhaltungskosten sind Kosten, die regelmäßig aufgewendet werden müssen, z.B. normale Verschleißreparaturen. Hierunter fallen auch die auf die Erbschaft entfallenden Steuern (Grundsteuer etc.), Versicherungsprämien oder Zinsen auf Nachlassverbindlichkeiten oder Grundpfandrechte.
Rz. 5
Die Abgrenzung zwischen gewöhnlichen Erhaltungskosten und sonstigen Aufwendungen (i.S.v. § 2124 Abs. 2 BGB) ist nicht unproblematisch. Die Höhe der Einkünfte des Objekts kann zwar neben anderen Gesichtspunkten eine Rolle für die Frage spielen, ob bestimmte Erhaltungsmaßnahmen nach der Verkehrsanschauung bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung regelmäßig zu erwarten und insofern "gewöhnlich" sind. Erwägungen, welche Maßnahmen sich aus den Erträgen mehrerer Jahre bezahlen (oder möglicherweise mit Hilfe von Krediten finanzieren) lassen, sind aber kein geeignetes Kriterium für die Abgrenzung der gewöhnlichen von den außergewöhnlichen Erhaltungskosten. Auch die Tatsache, dass ein gewerblich wirtschaftender Vermieter aus den laufenden Einnahmen Rücklagen auch für größere Investitionen bildet, macht solche Aufwendungen dabei nicht zu gewöhnlichen Erhaltungskosten im Sinne von § 2124 Abs. 1 BGB. Zu §§ 994, 2185 BGB hat der BGH entschieden, dass Beiträge zum Anschluss eines Grundstücks an die öffentliche Wasserversorgung, zur Herstellung einer öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage sowie zur Herstellung der Straße keine gewöhnlichen Erhaltungskosten sind. In der Rechtsprechung zu § 1041 BGB...