Rz. 612
Nachlassverwalter haben – entsprechend dem Wesen der Nachlassverwaltung als Sonderform einer ("starken") vorläufigen Insolvenzverwaltung“ – gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO analog die Pflicht, ein insolventes Unternehmen einstweilen fortzuführen. Diese Norm macht einen – legalen – Sanierungsversuch oftmals überhaupt erst möglich, denn sie erlaubt Nachlassverwaltern, genauso wie vorläufigen Unternehmensinsolvenzverwaltern, die Fortführung materiell insolventer Unternehmen, auch und gerade dann, wenn diese insolvenzreif sind und bis auf Weiteres nur defizitär betrieben werden können.
Rz. 613
Zudem ist der Nachlassverwalter im Grundsatz berechtigt, Masseverbindlichkeiten zu begründen wie ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter oder ein eigenverwaltender Schuldner in einem Verfahren nach § 270b InsO. Dies ergibt sich mittelbar aus § 324 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Dessen Wortlaut spricht zwar von Verbindlichkeiten, die ein Nachlasspfleger begründet hat; der Begriff des "Nachlasspflegers" ist aber gem. §§ 1975, 1981 ff. BGB als Oberbegriff auch für Nachlassverwalter zu verstehen. Verbindlichkeiten, die der Nachlassverwalter bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet hat, fallen daher unter den Begriff der Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 324 Abs. 1 Nr. 5 InsO.
Rz. 614
Flankierend stehen dem Nachlassverwalter die auch dem Erben zustehenden Einreden der §§ 2014, 2015 BGB zu, vgl. §§ 2017, 1975 BGB. Diese beinhalten ein Vollstreckungsverbot für (ungesicherte) Nachlassgläubiger und wirken damit de facto wie die in vorläufigen Insolvenzverfahren typischerweise insolvenzgerichtlich angeordneten Vollstreckungsverbote bzw. ein gesetzlicher Schutzschirm im Verfahren des § 270b InsO. Die Dreimonatseinrede des § 2014 BGB gibt dem Nachlassverwalter (mindestens) drei Monate Zeit, durch eine einstweilige Fortführung des Unternehmens und Stabilisierung des Geschäftsbetriebs eine weitere Vermögensentwertung zu verhindern und, nicht zuletzt, ggf. bestehende Insolvenzgründe durch Verhandlungen mit beteiligten Gläubigern zu beseitigen.
Rz. 615
Die Nachlassverwaltung bietet die Rahmenbedingungen, um eine durch den Tod ihres Inhabers ausgelöste oder verschärfte Unternehmenskrise außerhalb eines Insolvenzverfahrens nachhaltig und für den Erben zeit- und ressourcenschonend zu bewältigen. Etwaige Insolvenzantragspflichten gehen, anders als im Bereich der Testamentsvollstreckung oder Nachlasspflegschaft, in einer die Erben und ggf. auch etwaige Erbprätendenten (!) zuverlässig entlastenden Wirkung auf den Nachlassverwalter über. Das Gesetz stellt diesem darüber hinaus alle zur Sanierung notwendigen rechtlichen Instrumente zur Verfügung, die in der konkreten Situation auch einem ("starken" vorläufigen) Insolvenzverwalter zur Verfügung stehen würden. Auf europäischer Ebene gibt es Bestrebungen zur Implementierung eines EU-weit einheitlichen "vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens". Mit der Nachlassverwaltung steht im deutschen Recht bereits ein entsprechendes Verfahren für Erben und Gläubiger von Unternehmen im Nachlass zur Verfügung.