Rz. 58
Hinweis
Das Europäische Nachlasszeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten – auch zum Zwecke des Erbnachweises bei öffentlichen Registern, ohne dass es dazu eines besonderen Verfahrens bedarf, Art. 69 Abs. 1, Abs. 5 EuErbVO.
Beim Europäischen Nachlasszeugnis wird nicht mehr unterschieden nach Ausfertigung und Abschrift; es werden nur noch Abschriften erteilt, Art. 70 EuErbVO.
aa) Berechtigtes Interesse für die Erteilung einer beglaubigten Abschrift
Rz. 59
Nach Art. 70 EuErbVO reicht ein berechtigtes Interesse für die Erteilung einer beglaubigten Abschrift eines ENZ. Dieses berechtigte Interesse hat ein Gläubiger, der im Besitz eines Vollstreckungstitels gegen den Erblasser ist. Die Schwelle ist also niedriger (berechtigtes Interesse) als für die Erteilung einer Ausfertigung eines Erbscheins (rechtliches Interesse, § 357 Abs. 2 FamFG).
bb) Zweck
Rz. 60
Eine zügige Abwicklung einer Nachlasssache mit Auslandsbezug innerhalb der Mitgliedstaaten soll dadurch gefördert werden, dass Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat einfach nachweisen können, Erwägungsgrund (EG) 67.
cc) Zuständigkeit
Rz. 61
International zuständig für die Ausstellung des ENZ über den gesamten Nachlass sind in erster Linie die Behörden in dem Mitgliedstaat, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte (Art. 64 Abs. 1 S. 1 EuErbVO). Bei der ausstellenden Behörde kann es sich um ein Gericht oder eine andere Behörde handeln. Der Begriff des Gerichts ist weit zu verstehen und erfasst alle Angehörige eines Rechtsberufs, die Unparteilichkeit und das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör gewährleisten (Art. 3 Abs. 2 EuErbVO), insbesondere Notare, die in den meisten Mitgliedstaaten – teilweise ausschließlich – für die Ausstellung des Erbnachweises zuständig sind.
Sollte sich der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers nicht in einem Mitgliedstaat befinden, sind für den gesamten Nachlass zunächst die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, deren Staatsangehörigkeit der Erblasser zum Todeszeitpunkt besaß (Art. 10 Abs. 1 lit. a EuErbVO) oder – subsidiär – in dem der Erblasser seinen vorhergehenden gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte, sofern die Aufenthaltsänderung nicht länger als fünf Jahre zurückliegt (lit. b). Nur wenn keine dieser Zuständigkeiten greift, sind die Gerichte eines Mitgliedstaats hinsichtlich des im betroffenen Mitgliedstaat belegenen Nachlasses international zuständig, § 343 Abs. 3 FamFG. Letztere Zuständigkeit bleibt auch im Verhältnis zu Art. 4 EuErbVO bestehen, wonach eigentlich für den gesamten Nachlass international die Gerichte zuständig sind, in deren Hoheitsgebiet der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
dd) Erteilung beglaubigter Abschriften
Rz. 62
Dem Antragsteller wird – anders als im deutschen Erbscheinsverfahren – nur eine beglaubigte Abschrift des ENZ ausgehändigt; die Urschrift verwahrt dagegen die Ausstellungsbehörde (Art. 70 Abs. 1 EuErbVO). Darüber hinaus verlangt Art. 70 Abs. 2 EuErbVO, dass die ausstellende Behörde über alle Empfänger einer beglaubigten Abschrift ein Verzeichnis führt. Aus Gründen des Verkehrsschutzes hat die Ausstellungsbehörde den Beglaubigungsvermerk mit einem "Verfallsdatum" (sechs Monate nach Ausstellung) zu versehen, mit dessen Ablauf die beglaubigte Abschrift ihre Gültigkeit verliert (Art. 70 Abs. 3 S. 1 EuErbVO).
ee) Richtigkeitsvermutung und öffentlicher Glaube
Rz. 63
Nach Art. 69 Abs. 2 EuErbVO wird vermutet, dass der im ENZ ausgewiesene Sachverhalt zutrifft. Weiter wird vermutet, dass die aufgeführten Erben, dinglichen Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter die im Zeugnis genannte Rechtsstellung haben und keinen anderen als den im ENZ aufgeführten Beschränkungen unterliegen. Diese Richtigkeitsvermutung würde nach deutschem Rechtsverständnis freilich nur die Urschrift, nicht aber die beglaubigte Abschrift genießen. Dann aber könnte das ENZ, dessen Urschrift stets bei der Ausstellungsbehörde verbleibt, seine Funktion als taugliches Nachweisdokument gegenüber Registern (Art. 69 Abs. 5 EuErbVO) nicht erfüllen. Auch die zeitlich begrenzte Gültigkeit legt nahe, dass die Wirkung des ENZ der beglaubigten Abschrift zukommen muss.
ff) Änderung und Widerruf des ENZ
Rz. 64
Da die Urschrift des ENZ stets bei Gericht verbleibt und nur beglaubigte Abschriften zirkulieren, arbeitet die EuErbVO nicht mit dem deutschen Konzept der Einziehung und Kraftloserklärung, sondern sieht nur Änderung und Widerruf eines unrichtigen ENZ vor (Art. 71 EuErbVO). So tritt an die Stelle der Einziehung die Information der Personen, denen eine beglaubigte Abschrift des ENZ erteilt wurde (Art. 71 EuErbVO).