Rz. 21
Ist ein Erbschein noch nicht erteilt, so kann der Gläubiger – wenn er bereits im Besitz eines endgültig vollstreckbaren Titels ist – sogar das Erbscheinserteilungsverfahren betreiben. Er hat ein eigenes Antragsrecht nach §§ 792, 896 ZPO und kann sogar die nach § 352 Abs. 3 FamFG erforderliche eidesstattliche Versicherung abgeben (vgl. Muster Rdn 43). Dies gilt auch für das Finanzamt als Gläubiger einer Steuerschuld. Für den formalen Inhalt des Antrags gelten die §§ 352 ff. FamFG.
Auf der Grundlage derselben Vorschriften kann er auch die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) beantragen.
Rz. 22
Handelt es sich bei dem Gläubiger um eine juristische Person, so ist die eidesstattliche Versicherung (§ 352 Abs. 3 FamFG) vom gesetzlichen Vertreter abzugeben. Eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung ist im Grundsatz nicht zulässig.
Rz. 23
Auch im Fall der Beantragung eines Erbscheins durch den Gläubiger gem. § 792 ZPO ist das Formerfordernis des § 352 Abs. 3 FamFG regelmäßig einzuhalten.
Rz. 24
Gleichwohl kann es im Einzelfall geboten sein, gem. § 352 Abs. 3 FamFG dem Gläubiger die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung zu erlassen, wenn sie nicht erforderlich ist. Die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung dient der Glaubhaftmachung der im Antrag angegebenen Umstände. Der in zulässiger Weise gestellte Antrag löst die Pflicht des Nachlassgerichts gem. §§ 26, 30 FamFG zur umfassenden Ermittlung von Amts wegen aus.
Das Nachlassgericht hat dann den Erbschein gem. § 352e FamFG zu erteilen, wenn es die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Weil man von einem Gläubiger – anders als von einem Erben – nicht erwarten kann, dass ihm alle für das Erbrecht des Erben maßgeblichen Umstände aufgrund der familiären Verhältnisse bekannt sind, kommt der Amtsermittlungsverpflichtung im Falle der Beantragung eines Erbscheins durch den Gläubiger gem. § 792 ZPO besondere Bedeutung zu. Die Anforderungen an die Angaben des Gläubigers dürfen damit nicht überspannt werden.
Der Gläubiger kann das Erbscheinserteilungsverfahren nur betreiben, wenn er wegen einer Nachlassverbindlichkeit einen Vollstreckungstitel erlangt hat.
Rz. 25
Steht aufgrund der nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben des Gläubigers fest, dass deren vertretungsberechtigte Organe keinerlei Kenntnisse von den das Erbrecht auslösenden bzw. beeinflussenden Umständen haben, erschiene das Bestehen auf der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung gem. § 352 Abs. 3 FamFG als bloße Förmelei. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass sich die eidesstattliche Versicherung des Gläubigers allein auf seine Kenntnis und sein Wissen, nicht aber auf ein ggf. noch in Kenntnis zu bringendes Wissen des Erben bezieht. Die eidesstattliche Versicherung gem. § 352 Abs. 3 FamFG ist lediglich darauf gerichtet, dass dem Gläubiger nichts bekannt sei, was der Richtigkeit seiner Angaben entgegenstünde. Bietet zudem der maßgeblich mit der Sache befasste rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung mit dem Inhalt des § 352 Abs. 3 FamFG an, so ist die Ermessensentscheidung des § 352 Abs. 3 FamFG dahin gehend auszuüben, dass jedenfalls die eidesstattliche Versicherung durch den Gläubiger erlassen werden muss.
Rz. 26
Die verfahrensrechtlichen Rechte der Erben werden gewahrt, weil das Nachlassgericht nach §§ 26, 29, 30 FamFG von Amts wegen zu ermitteln und dabei auch nach Art. 103 GG rechtliches Gehör zu gewähren hat.
Das BVerfG zur Gewährung rechtlichen Gehörs im FG-Verfahren:
Zitat
"Art. 103 Abs. 1 GG ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten. Das gilt – unabhängig davon, ob die Anhörung im Gesetz vorgesehen ist – auch für Verfahren, die vom Untersuchungsgrundsatz nach § 12 FGG [jetzt: § 26 FamFG] beherrscht werden. Auf eine förmliche Beteiligtenstellung kommt es nicht an. Der Anspruch auf rechtliches Gehör steht vielmehr jedem zu, demgegenüber die gerichtliche Entscheidung materiellrechtlich wirkt und der deshalb von dem Verfahren rechtlich unmittelbar betroffen wird."
Rz. 27
Ein Gläubiger hat im Erbscheinsverfahren seine Rechtsstellung nachzuweisen, die auch in der Verfahrensvoraussetzung Antragsrecht voll geprüft werden muss.
Rz. 28
Im Erbschein wird aber nur der endgültige Erbe aufgeführt, für den die Ausschlagungsfrist bereits verstrichen ist. Hat der Gläubiger Grund zu der Annahme, die Erben könnten vom Erbfall noch keine Kenntnis erlangt haben, so ist ihm anzuraten, die Erben vom Erbfall und von ihrer Berufung zu Erben in Kenntnis zu setzen, damit die Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB in Gang gesetzt wird. Sicherheitshalber kann diese Mitteilung durch den Gerichtsvollzieher zugestellt werden, um den Vorteil der Zugangsfiktion des § 132 BGB zu erreichen.
Rz. 29
Ist der Gläubiger nicht im Besitz eines vollstreckbaren Titels, so kann er das Erbscheinsverfahren nicht betreiben. In einem solchen Fall müsste im Rahmen d...