Rz. 97
Seit dem Inkrafttreten des § 1586b BGB zum 1.7.1977 ist die Kritik an dieser Vorschrift nicht verstummt. Sie gipfelt in der Forderung von Baumann, sie bei der nächsten Unterhaltsrechts-Novelle ganz abzuschaffen. Diese Forderung mag zwar über das Ziel hinausschießen, aber die vielen Ungereimtheiten, die die Norm enthält, bereiten in der Praxis immer wieder Unbehagen. Und mit seinem Urt. v. 29.11.2000 hat der BGH dieses Unbehagen nicht vermindert, sondern – im Gegenteil – "große Tore" zu weiteren Problemen geöffnet, wenn man allein die Auswirkungen auf unbenannte Zuwendungen betrachtet (vgl. Rdn 99 ff.).
Seit Jahren ist die Tendenz des BGH erkennbar, Pflichtteilsberechtigte durch die Gewährung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen zu schützen. Diesem Trend hat sich der Familiensenat angeschlossen, obwohl der aus § 1586b BGB berechtigte geschiedene Ehegatte keinen originären Pflichtteilsanspruch hat, sondern lediglich die ihm zur Verfügung stehende Haftungssumme aus dem Nachlass an seinem fiktiven Pflichtteil gemessen wird. Welche praktischen Probleme in Bezug auf unbenannte Zuwendungen sich daraus ergeben, dass die Haftungssumme die fiktive Pflichtteilsergänzung mit umfasst, soll nachfolgend erläutert werden.
Rz. 98
Auswirkungen der Erbrechtsreform auf die Haftungshöchstsumme nach § 1586b Abs. 1 S. 3 BGB: Mit der Abschmelzung nach § 2325 Abs. 3 BGB findet die Schenkung für die Pflichtteilsberechnung graduell immer weniger Berücksichtigung, je länger sie zurückliegt: Eine Schenkung im ersten Jahr vor dem Erbfall wird demnach voll in die Berechnung des Nachlasses einbezogen, im zweiten Jahr jedoch nur noch zu 9/10, im dritten Jahr zu 8/10 usw. berücksichtigt. Damit wird sowohl dem Erben als auch dem Beschenkten mehr Planungssicherheit eingeräumt. Auf diese Weise wird auch in die Höhe der Haftungshöchstsumme des § 1586b Abs. 1 S. 3 BGB eingegriffen, weil in diesen maximalen Haftungsbetrag fiktive Pflichtteilsergänzungsansprüche einbezogen werden.
(1) Die Pflichtteilsergänzungsrelevanz unbenannter Zuwendungen
Rz. 99
Unbenannte Zuwendungen unter Ehegatten können Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen. Da die Zehnjahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB bei Zuwendungen unter Ehegatten erst im Zeitpunkt der Auflösung der Ehe zu laufen beginnt, fallen unbenannte Zuwendungen, die der Unterhaltsverpflichtete in einer späteren Ehe seinem (zweiten, dritten etc.) Ehegatten gemacht hat, in die Haftungssumme des fiktiven Ergänzungspflichtteils des geschiedenen unterhaltsberechtigten Ehegatten. Das wiederum bedeutet, dass alle unbenannten Zuwendungen aus einer späteren Ehe dem geschiedenen Ehegatten gegenüber zu offenbaren sind. Dabei kann offenbleiben, ob dieser einen Auskunftsanspruch analog § 2314 BGB gegen die Erben des Unterhaltsverpflichteten hat oder ob im Rahmen der Geltendmachung der Haftungsbegrenzung in Höhe des ordentlichen Pflichtteils und des Ergänzungspflichtteils mittels Abänderungsklage bzw. Vollstreckungsgegenklage diese Offenlegung zu erfolgen hat. Berücksichtigt man dabei weiter, dass unter den Erben des Unterhaltspflichtigen häufig sein (zweiter, dritter etc.) Ehepartner ist, wenn dieser nicht sogar sein Alleinerbe wurde (wie im entschiedenen Fall), so wird damit ein Konfliktpotenzial sichtbar, das zu dem in § 1569 BGB postulierten Grundsatz der Eigenverantwortung beider Ehepartner und ihrer wirtschaftlichen Trennung nach der Scheidung in krassem Gegensatz steht.
Dabei dürfte die rechtliche Qualifikation unentgeltlicher Zuwendungen an den neuen Ehepartner, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob sie nach § 2330 BGB als Pflicht- oder Anstandsschenkungen unberücksichtigt bleiben, nicht allein dem/den Erben überlassen bleiben. So gesehen kann der geschiedene Ehepartner die Offenlegung aller unentgeltlichen Zuwendungen an den späteren Ehepartner des Erblassers – faktisch ohne Zeitschranke – verlangen. Es wird sich zeigen, wie die Praxis damit zu Recht kommt.
(2) Vereinbarung der Gütergemeinschaft und Pflichtteilsergänzung
Rz. 100
Auch die Vereinbarung der Gütergemeinschaft kann u.U. wie eine pflichtteilsergänzungsrelevante Schenkung behandelt werden. Das bedeutet wiederum, dass über ehevertragliche Vereinbarungen im Rahmen der Geltendmachung der Haftungssumme nach § 1586b Abs. 1 S. 3 BGB eine Offenbarungspflicht besteht.