Rz. 463
Gesetzliches Modell: In § 2046 Abs. 1 S. 1 BGB regelt das Gesetz etwas scheinbar Selbstverständliches: Vor der Aufteilung des Nachlasses unter den Miterben sind die Nachlassverbindlichkeiten zu erfüllen. Und § 2046 Abs. 1 S. 2 BGB ergänzt, dass bei nicht fälligen oder streitigen Nachlassverbindlichkeiten das "zur Berichtigung Erforderliche" zurückzubehalten sei. Nur der Rest soll unter den Miterben verteilt werden.
Rz. 464
Die Gefahr der unbeschränkten Haftung bei Verletzung der Gläubigerrechte: An versteckter Stelle hält das Gesetz den "Knüppel" für die Verletzung der Pflicht zur Voraberfüllung der Nachlassverbindlichkeiten parat: Nach § 2062 Hs. 2 BGB kann nach der vollzogenen Erbteilung eine Nachlassverwaltung nicht mehr beantragt werden. Da aber für einen zulänglichen Nachlass die Nachlassverwaltung das hauptsächliche Instrument zur Herbeiführung der beschränkten Erbenhaftung ist (§ 1975 BGB), haften die Miterben für noch offen gebliebene Nachlassverbindlichkeiten unbeschränkt und unbeschränkbar, wenn man von den seltenen Ausnahmefällen der Dürftigkeitseinrede (§ 1990 BGB) absieht.
Rz. 465
Für den einzelnen Miterben bedeutet dies wiederum die gesamtschuldnerische Haftung nach § 2058 BGB ohne Haftungsbeschränkungsmöglichkeit durch Nachlassverwaltung; die Dürftigkeitseinrede gem. § 1990 BGB steht ihm aber noch offen – sofern der Nachlass tatsächlich auch dürftig ist. Wird er in Anspruch genommen und leistet er auch, so hat er zwar einen internen Ausgleichsanspruch gegen die anderen Miterben nach § 426 BGB. Ist dieser aber nicht durchsetzbar, dann geht er leer aus.
Rz. 466
Diese Situation kann auch zur Haftungsgefahr für den Anwalt eines Miterben werden, wenn er nicht auf die Erfüllung aller Nachlassverbindlichkeiten oder auf "Zurückbehaltung des Erforderlichen" vor der Erbteilung hingewirkt hat. Diese Gefahr besteht nur bei zulänglichen Nachlässen – und dies ist in der Praxis glücklicherweise die Mehrzahl. Bei überschuldeten Nachlässen kann auch noch nach der Erbteilung das Nachlassinsolvenzverfahren beantragt bzw. die Dürftigkeitseinrede erhoben und damit die Haftungsbeschränkung herbeigeführt werden, §§ 317, 318 InsO, §§ 1975, 1981, 1990 BGB.
Rz. 467
Vollzug der Erbteilung: Es bleibt noch zu fragen, wann ein Nachlass auseinander gesetzt ist. Dabei kommt es auf die Verkehrsanschauung an und nicht darauf, ob der Nachlass ohne irgendeinen Rest noch gemeinschaftlicher Gegenstände unter den Erben aufgeteilt wurde.
Die Teilung ist vollzogen, wenn ein so erheblicher Teil der Nachlassgegenstände aus dem Gesamthandsvermögen der Miterben in ihr Einzelvermögen überführt worden ist, dass die Erbengemeinschaft bei wirtschaftlicher Betrachtung als Ganzes aufgelöst erscheint.
Rz. 468
Hinweise für die Praxis
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Sorgfältig vor der Erbteilung alle Nachlassverbindlichkeiten "aufspüren". Besonderes Augenmerk ist auf evtl. zu erwartende Einkommensteuernachzahlungen zu richten; sei es, dass noch mit Nachveranlagungen zu rechnen ist, oder sei es, dass es der Erblasser bei der Abgabe von Steuererklärungen nicht genau genug genommen hat. |
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Auch Vermächtnisse und Pflichtteile sind Nachlassverbindlichkeiten, § 1967 Abs. 2 BGB. |
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Notfalls ein Gläubigeraufgebot durchführen, §§ 1970 ff. BGB. Dafür zuständig ist das Amtsgericht, § 23a Abs. 2 Ziff. 7 GVG. |
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Solange das Gläubigeraufgebot nicht durchgeführt ist, kann die Erbteilung aufgeschoben werden, § 2045 BGB. |
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Bei nicht fälligen und/oder streitigen Verbindlichkeiten sind auch Mittel für einen evtl. zu führenden Rechtsstreit durch drei Instanzen zurückzubehalten, einschließlich des Risikos endgültig zu unterliegen, § 2046 BGB. |