1. Allgemeines
Rz. 24
Gerade in erbrechtlichen Mandaten, die besonders im Zusammenhang mit Erbengemeinschaften umfangreich und nicht selten überdurchschnittlich komplex und kompliziert sein können, muss der Rechtsanwalt die Kriterien für die Bestimmung des Gebührenrahmens kennen, um sie sachgerecht anwenden und seine Tätigkeit angemessen vergüten zu lassen.
Ferner findet sich in den Vorschriften des RVG eine Änderung der ursprünglichen Mittelwerttheorie (Mindestgebühr + Höchstgebühr / 2), z.B. wurde in Nr. 2300 VV RVG bei der Geschäftsgebühr der Mittelwert mit einem Satzrahmen von 1,3 (sog. Schwellengebühr) festgelegt, statt der sich errechnenden 1,5. In der Anmerkung ist weiter festgelegt, dass ein Überschreiten dieses Satzrahmens nur im Falle einer umfangreichen oder schwierigen Tätigkeit zulässig ist.
Im erbrechtlichen Mandat sind dabei die folgenden Kriterien von maßgeblicher Bedeutung für die Bestimmung des Gebührenrahmens nach § 14 RVG:
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Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit |
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Bedeutung der Angelegenheit |
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Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers |
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besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts. |
Grundsätzlich sind die Kriterien konkret im Einzelfall abzuwägen. Ausgehend von einer durchschnittlichen Tätigkeit ist dann zu prüfen, ob eine Erhöhung oder eine Verringerung der Gebühr im Verhältnis zur Mittelgebühr vorzunehmen ist.
Jedoch müssen für die Erhöhung bis hin zur Höchstgebühr nicht sämtliche Kriterien für eine Überdurchschnittlichkeit der Tätigkeit sprechen.
Für den Ansatz der Höchstgebühr ist es ausreichend, wenn zwei der Bewertungsmerkmale in überdurchschnittlichem Maße vorliegen. So kann trotz unterdurchschnittlicher Vermögensverhältnissen des Auftraggebers bei Vorliegen einer überdurchschnittlich hohen Bedeutung der Angelegenheit die Höchstgebühr angemessen sein.
2. Umfang der anwaltlichen Tätigkeit
Rz. 25
Dieses Kriterium stellt auf die für die Bearbeitung durch den Rechtsanwalt aufzuwendende Zeit ab. Im Einzelnen ist zu klären, ob überdurchschnittlich viel Zeit im Vergleich zu anderen, nicht nur erbrechtlichen, Mandaten erforderlich war. Der überwiegend im Erbrecht tätige Rechtsanwalt muss also nicht diese zweifelsohne im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten aufwendige Materie nur mit dieser vergleichen, sondern darf sein Mandat, da das RVG für alle Rechtsgebiete Anwendung findet, natürlich auch mit weniger arbeitsintensiven Rechtsgebieten, wie beispielsweise dem Arbeitsrecht oder dem schlichten Forderungseinzug vergleichen. Hierbei kann berücksichtigt werden, dass
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eine umfangreiche Vorarbeit durch den beauftragten Rechtsanwalt, z.B. für das Studium einer umfangreichen Nachlassakte oder von umfangreichem Schriftverkehr bzw. Vorkorrespondenz oder von umfangreichen, mehrseitigen Verfügungen von Todes wegen, Erbverträgen etc. zur Einarbeitung in die Angelegenheit erforderlich gewesen ist (nicht aber der Aufwand, der erforderlich ist, um sich selbst fortzubilden, weil der Rechtsanwalt sonst nicht im Erbrecht tätig ist und daher zunächst Grundlagen erarbeitet werden müssen) |
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Umfang zu prüfender Beiakten (mehrere gerichtliche Nachlassakten von involvierten Nachlässen, Vor- und Nacherbschaftsangelegenheiten) |
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eine überdurchschnittliche Vielzahl und/oder langandauernde Besprechungen (wie Besprechungstermine, telefonische Besprechungen, Besichtigungen vor Ort, Verhandlungsgespräche) im Rahmen der Bearbeitung des Mandats erforderlich gewesen sind |
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ein Verfahren über mehrere Jahre andauert, insbesondere dann, wenn die Dauer des Verfahrens auf das Verhalten der Beteiligten zurückzuführen ist und z.B. die Aufklärung des Sachverhalts erschwert worden ist |
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ein überdurchschnittlicher zeitlicher Aufwand innerhalb des Mandatsverhältnis erforderlich gewesen ist, um z.B. einen "intellektuell minderbegabten" Auftraggeber vollumfänglich zu unterrichten, von diesem informiert zu werden und Besprechungen über die Vorgehensweise durchzuführen. |
Aus dem Vorstehenden wird ersichtlich, dass die Bestimmung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit im Einzelfall nur möglich ist, wenn detaillierte Aktenaufzeichnungen ein vollständiges Bild darstellen. Insbesondere bei der Vertretung einer Erbengemeinschaft oder einzelner Miterben ist es sehr wahrscheinlich, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit überdurchschnittlich ist. In der Regel werden mehrere Gespräche mit dem Auftraggeber oder Besprechungen mit der Erbengemeinschaft erforderlich sein, und diese sollten möglichst genau, insbesondere auch mit Blick auf den Zeitaufwand, dokumentiert werden.
3. Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
Rz. 26
Zu unterscheiden ist hier die rechtliche und die tatsächliche Schwierigkeit der Tätigkeit.
Von einer rechtlich schwierigen Tätigkeit ist auszugehen, wenn eine besondere Einarbeitung in seltene Rechtsgebiete erforderlich gewesen ist oder besondere rechtliche Problemstellungen zu klären sind. Die Anforderungen an die anwaltliche Tätigkeit sollen hier überdurchschnittlich sein, wobei eine Spezialisierung auf einem Rechtsgebiet nichts daran ändert, dass es sich um ei...