Martin Lindenau, Dominikus Arweiler
Rz. 37
Vom Schuldverhältnis abzugrenzen sind bloße Gefälligkeitsverhältnisse. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf einer sozialen Verständigung beruhen und dass sie uneigennützig, unentgeltlich und ohne rechtliche Verbindlichkeit sind. Entscheidend für die Annahme einer Gefälligkeit ist insoweit, dass das Tätigwerden des Bevollmächtigten im Belieben desselben steht (und stehen soll) und dass es keinen Willen zu Eingehung einer rechtlichen Verbindlichkeit gibt.
Rz. 38
Unklar ist in diesen Fällen stets, welche Haftungsgesichtspunkte für den Leistenden bestehen und ob Schutzpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB entstehen. Übereinstimmung zum bereits thematisierten Auftragsverhältnis besteht insoweit hinsichtlich der Unentgeltlichkeit der Tätigkeit des Bevollmächtigten. Hinzu kommt jedoch ein Fehlen des beim Auftragsverhältnis gegebenen Rechtsbindungswillens. Das Fehlen des Rechtsbindungswillens kann jedoch nur bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen angenommen werden.
Rz. 39
Insbesondere in Fällen, in welchen der Vorsorgevollmacht eine besondere Vertrauenslage zugrunde liegt oder dann, wenn eine Verpflichtung des Bevollmächtigten zur Rechenschaftsablegung gänzlich ungewollt erscheint, ist ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis jedoch nicht von vornherein abwegig. Es besteht somit in der Mehrzahl der Fälle einer erteilten Vorsorgevollmacht die zentrale Frage nach der Abgrenzung zwischen einem Auftrags- und einem Gefälligkeitsverhältnis. Entscheidend ist insoweit stets, ob ein Rechtsbindungswille angenommen werden kann, was in der Regel zum Vorliegen eines Auftragsverhältnisses führt, oder ob ein solcher fehlt, was sodann in der Annahme einer bloßen Gefälligkeit mündet.
Rz. 40
Gerade dann, wenn die Bevollmächtigten Ehegatten oder die eigenen Kinder sind, soll ein fehlender Rechtsbindungswille und somit ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis nicht fernliegend sein und wurde von der Rechtsprechung auch wiederholt angenommen. Diese insoweit kritisch zu betrachtende Rechtsprechung, welche wiederholt eine bloße Gefälligkeit bei der Bevollmächtigung von Ehegatten angenommen hat, erfuhr zumindest dahingehend eine Einschränkung, dass der Bundesgerichtshof an anderer Stelle hervorhob, dass eine Übertragbarkeit der Privilegierung der Ehegatten auf andere familiäre oder persönliche Verhältnisse nicht ohne weiteres möglich ist. Dem entgegengesetzt entschied jedoch das OLG Naumburg im Jahr 2007, dass auch zwischen Großmutter und Enkelkind ein vergleichbares Vertrauensverhältnis wie bei Ehegatten bestehen könne, insbesondere dann, wenn beide zusammengewohnt haben.
Rz. 41
Dies ist indes nicht überzeugend. Die als Privilegierung der Ehegatten entstandene Ausnahme, wonach ein Gefälligkeitsverhältnis gerade bei dieser engen Verbindung nahliegend sei, droht durch solche Entscheidungen schleichend auf all jene Fälle, in welchen Vollmachtgeber und Vollmachtnehmer zusammenleben, ausgeweitet zu werden. Dem steht jedoch die sogleich noch näher dargelegte Tatsache entgegen, dass für den Vollmachtgeber bei Vorsorgevollmachten in nahezu allen Fällen wesentliche Interessen auf dem Spiel stehen (siehe Rdn 42 ff.). Weiter kommt hinzu, dass bei Vorsorgevollmachten ein besonderes Nähe- und Vertrauensverhältnis in den meisten Fällen vorzufinden sein wird. Diese letzte Überlegung wird durch eine Entscheidung des OLG Karlsruhe aus dem Jahr 2017 untermauert, wonach "ein besonderes persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer" deshalb nicht gegen die Annahme eines Auftrages sprechen könne, da gerade bei Auftragsverhältnissen zumeist ein persönliches Vertrauensverhältnis gegeben sei. Vergleichbar entschied im Jahr 2019 nun auch das OLG Brandenburg.
Rz. 42
Weiter muss beachtet werden, dass die Annahme einer Gefälligkeit die Position des Vollmachtgebers erheblich schwächt. Die Auswirkungen der Annahme einer bloßen Gefälligkeit sind für den Vollmachtgeber insbesondere deshalb weitreichend, da weder Rechenschafts- und Rechnungslegungspflichten des Bevollmächtigten bestehen noch ein Auskunftsanspruch gegeben ist. Letzterer kann allenfalls über § 242 BGB nach Treu und Glauben hergeleitet werden. Gerade dann, wenn für den Bevollmächtigenden wesentliche Interessen auf dem Spiel stehen, seien es solche wirtschaftlicher oder persönlicher Art, oder auch dann, wenn die Bevollmächtigung für einen längeren Zeitraum angedacht ist, wird man somit regelmäßig einen fehlenden Rechtsbindungswillen des Vollmachtgebers nicht annehmen können, da dies den Interessen des Initiators der Vollmacht widersprechen würde. Eben diese Situation (wesentliche Interessen des Vollmachtgebers sind betroffen; die Vollmacht ist für einen langen Zeitraum gedacht) findet sich in den meisten Fällen, in welchen eine Vorsorgevollmacht erteilt wurde. Die Regelsituation gestaltet sich gerade so, dass der Bevollmächtigte auf Dauer ermächtigt wird, die persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten des Vollmachtgebe...