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Das Jugendamt ist häufig die erste Anlaufstelle bei grenzüberschreitenden Kindschaftskonflikten. Ihm kommt im Vorfeld von Kindesentführungen eine Präventionsaufgabe zu. So kann es bei Anhaltspunkten für eine bevorstehende Entführung von Amts wegen eingreifen. Aber auch, wenn das Kind bereits entführt worden ist oder zurückgehalten wird, ist es von besonderer Bedeutung, dass das Jugendamt die Besonderheiten des HKÜ-Verfahrens und – allgemeiner – von Kindschaftsverfahren mit Auslandsbezug in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht kennt. Leider kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass das Jugendamt den entführenden Elternteil in der Richtigkeit seines Verhaltens bestärkt, oft auch, weil dieser Elternteil das Jugendamt falsch oder unvollständig informiert. Dies beeinträchtigt die Möglichkeiten des HKÜ-Gerichts, den entführenden Elternteil zu einer freiwilligen Rückkehr in den Herkunftsstaat zu bewegen, erheblich. Auch der – rechtlich unhaltbare – Rat des Jugendamtes an den entführenden Elternteil, in Deutschland einen Sorgerechtsantrag zu stellen, wurde zuweilen erteilt.

Der Gesetzgeber sollte daher im SGB VIII – als jugendhilferechtlichen Spiegel von § 9 IntFamRVG – anordnen, dass in jedem Jugendamt die Bearbeitung von HKÜ-Rückführungsverfahren auf mindestens zwei Jugendamtsmitarbeiter konzentriert und diese hinsichtlich der Besonderheiten in HKÜ-Rückführungsverfahren besonders geschult werden.[448]

Eine Zuständigkeitskonzentration für HKÜ-Fälle bei besonders spezialisierten Jugendämtern erscheint hingegen nicht zielführend, da für das HKÜ-Gericht die Ortsnähe zum entführten Kind und die spezifische Aufgabe des Jugendamts, zur sozialen Situation des Kindes zu berichten, wichtig sind. Auch für die u.U. notwendige Vollstreckung muss das Jugendamt vor Ort sein, Berücksichtigt man weiter, dass HKÜ-Verfahren in jeder Instanz oft binnen weniger Wochen, teilweise sogar binnen weniger Tage durchgeführt werden, wäre etwa eine Konzentrationsregelung für die Jugendämter wie sie für die Konzentrationsgerichte in den §§ 1012 IntFamRVG besteht, nicht hilfreich.

Die dann noch für HKÜ-Rückführungsverfahren zuständigen Jugendamtsmitarbeiter könnten durch spezifische Fortbildungen für die Eigenart von HKÜ-Rückführungsverfahren sensibilisiert werden. Sie könnten so in die Lage versetzt werden, vermehrt eine wichtige Rolle bei der gütlichen Einigung – und ggf. auch der Hinführung der Eltern auf eine Mediation[449] – in diesen Verfahren einnehmen. Zusätzlich stünden sie den anderen Kollegen als Ansprechpartner in grenzüberschreitenden Kindschaftskonflikten zur Verfügung. Der Erwerb einer diesbezüglichen ­Expertise, speziell in grenzüberschreitenden Fällen die soziale Situation des Kindes realistisch einzuschätzen und erzieherische Perspektiven für das Kind zu erarbeiten, ist gerade im HKÜ-Rückführungsverfahren von besonders hoher Bedeutung, weil dort nur sehr ausnahmsweise die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet wird.

[448] So die Empfehlung 8 des Arbeitskreises 23 des 20. Deutschen Familiengerichtstages.
[449] Zur Mediation in grenzüberschreitenden Kindschaftsfällen als eine weitere Möglichkeit der Konfliktlösung siehe Carl/Erb-Klünemann, ZKM 2011, 116; Carl, ZKM 2003, 264; von Ballestrem/Schmid/Loebel, Mediation und grenzüberschreitende Mediation, NZFam 2015, 811; Sievers/Benisch, Kind-Prax 2005, 126; Paul/Walker, Spektrum der Mediation 25/2007, S. 44; Dobiejewska/Kiesewetter/Paul, ZKJ 2008, 118; Leitfaden der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht zur Mediation im HKÜ-Verfahren, 2012; BAFM, Modellprojekt "Mediation in internationalen Kindesentführungsverfahren", ZKJ 2014, 450.

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