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Diese ausnahmsweise Zuständigkeit des für die Hauptsache international unzuständigen Gerichts (sonst griffe schon Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO) ist eng auszulegen; Maßnahmen treten außer Kraft, sobald das international zuständige Gericht selbst entschieden hat, Art. 20 Abs. 2 Brüssel IIa-VO.

Der EuGH hat diese Grundsätze bestätigt und präzisiert:[69] Eine von einem nationalen Gericht angeordnete Schutzmaßnahme – wie etwa die Inobhutnahme eines Kindes – auf der Grundlage von Art. 20 Brüssel IIa-VO setzt voraus, dass diese Maßnahme dringend und vorübergehender Natur sein und in Bezug auf Personen getroffen werden muss, die sich in diesem Mitgliedstaat befinden. Letzteres hat der EuGH weiter aufgegliedert:[70] Ein einstweiliger Sorgerechtsentzug zu Lasten des zurückgelassenen Elternteils kann auch deshalb Art. 20 Brüssel IIa-VO nicht unterfallen, weil dieser sich nicht im Hoheitsgebiet des Zufluchtsstaats aufhält.[71] Dringlichkeit i.S.v. Art. 20 Abs. 1 Brüssel IIa-VO bezieht sich daher sowohl auf die Lage, in der sich das Kind befindet, als auch auf die praktische Unmöglichkeit, den die elterliche Verantwortung betreffenden Antrag vor dem Gericht zu stellen, das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist.[72] Einstweilige Maßnahmen i.S. des Art. 20 Abs. 1 Brüssel IIa-VO können folglich nur in Bezug auf Personen erlassen werden, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem das für den Erlass dieser Maßnahmen zuständige Gericht seinen Sitz hat. Das gilt in Verfahren über die elterliche Verantwortung nicht nur für das Kind selbst, sondern auch für den Elternteil, dem durch den Erlass der Maßnahme das Sorgerecht genommen wird.[73]

Die Anerkennung und Vollstreckung von Maßnahmen, die das Sorgerecht betreffen und auf der Grundlage von Art. 20 Brüssel IIa-VO von dem nicht für die Hauptsacheentscheidung international zuständigen Gericht erlassen worden sind, richtet sich nicht nach den Art. 21 ff. Brüssel ­IIa-VO; hier bleibt nur der Rückgriff auf andere Anerkennungsinstrumente.[74]

Die Durchführung der betreffenden vorläufigen Eilmaßnahme und deren Bindungswirkung bestimmen sich nach nationalem Recht (für Deutschland also nach §§ 15 IntFamRVG, 49 ff. FamFG).

[69] EuGH FamRZ 2009, 843; Anm. Völker, FamRBint 2009, 53.
[70] EuGH FamRZ 2010, 525; Anm. Völker, FamRBint 2010, 27; siehe auch Martiny, FPR 2010, 493; Janzen/Gärtner, IPRax 2011, 158.
[72] BGH FamRZ 2016, 799 m. Anm. Schulz; Anm. Schweppe, ZKJ 2016, 220.
[73] BGH FamRZ 2016, 799 m. Anm. Schulz; Anm. Schweppe, ZKJ 2016, 220.
[74] EuGH FamRZ 2010, 1521; BGH FamRZ 2011, 542; BGH FamRZ 2015, 1011 m. Anm. Hau, FamRZ 2015, 1101; OLG Stuttgart FamRZ 2014, 1567; OLG München FamRZ 2015, 777 m. Anm. Dutta; Anm. Siehr, IPRax 2016, 344; vgl. auch BGH FamRZ 2016, 799 m. Anm. Schulz; Anm. Schweppe, ZKJ 2016, 220.

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