Rz. 93

Der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" entspricht mangels einer eigenen Bestimmung im HKÜ in etwa dem des MSA (siehe Rdn 45 ff.). Er bestimmt sich nach dem tatsächlichen Lebensmittelpunkt des Kindes und setzt zumindest auch einen Aufenthalt von nicht nur geringer Dauer und den Schwerpunkt der Bindungen des Kindes an dem betreffenden Ort voraus.[249] Allerdings stellt sich bei einem zwischen den Eltern praktizierten Wechselmodell die Frage, ob das Kind sowohl im Herkunfts- als auch im Zufluchtsstaat einen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann. Dies ist ebenso streitig wie die sich im Falle der Annahme eines doppelten gewöhnlichen Aufenthalts anschließende Frage, ob durch das Verbringen vom einen in den anderen dieser Staaten ein Sorgerecht verletzt werden kann,[250] im Ergebnis aber zu bejahen, weil es auf die Rechtslage im Herkunftsstaat ankommt und dort hat das Kind eben einen gewöhnlichen Aufenthalt.[251] Ist der neue Aufenthalt von vornherein auf eine längere Dauer angelegt, so kann der Aufenthalt auch unmittelbar zum gewöhnlichen Aufenthalt werden.[252] Insoweit ist auch der Bleibewille des Elternteils beim Umzug zu berücksichtigen.[253] Ebenso ist der (freilich sehr seltene) Sonderfall denkbar, dass ein Kind, das seinen Aufenthaltsort zwischen verschiedenen Ländern häufig gewechselt hat, keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 3 HKÜ innehat.[254]

Zum gewöhnlichen Aufenthalt bei Geltung der Brüssel IIa-VO siehe eingehend Rdn 161.

[249] Sehr lesenswert OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883 mit umfangreicher rechtvergleichender Auslegung dieses Begriffes, auf die verwiesen werden kann; Anm. Völker, jurisPR-FamR 22/2006, Anm. 6; siehe auch OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1235 bezüglich eines Säuglings; OLG Hamm ZKJ 2013, 35; OLG Hamm FamFR 2012, 141 m.w.N.; OLG Stuttgart FamRZ 2013, 51; FamRBint 2011, 74; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 112 (2 1//2 Monate reichen nicht).
[250] Zum Meinungsstand OLG Nürnberg FamRZ 2007, 1588 m.w.N.
[251] Dem zustimmend Heilmann/Schweppe, Art. 8 Brüssel IIa-VO Rn 8; zu wechselnden Aufenthalten der Eltern siehe OLG Stuttgart FamRZ 2003, 959.
[252] KG FamFR 2013, 552; OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1235; OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 1577.
[253] EuGH FamRZ 2011, 617; KG FamFR 2013, 552.
[254] AG Hamm NJW-Spezial 2014, 485; die hiergegen eingelegte Beschwerde (OLG Hamm – 11 UF 74/14, n.v.) wurde zurückgenommen.

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