1. Räumlicher Anwendungsbereich

 

Rz. 90

Das Übereinkommen gilt nur zwischen den – derzeit weltweit mehr als 90 – Vertragsstaaten.[243]

[243] Ein Internetlink zu den aktuellen Vertragsstaaten findet sich abgedr. unter § 14 B. Zur fehlenden Geltung des HKÜ in den palästinensischen Autonomie- bzw. annektierten Gebieten, obwohl Israel Vertragsstaat ist, siehe AG Saarbrücken FamRZ 2008, 433 und AG Koblenz FamRZ 2013, 52; ebenso zu Ostjerusalem OLG München MDR 2016, 214. Zum räumlichen Abgrenzungsbereich samt Abgrenzung zur Brüssel IIa-VO, dem MSA und dem KSÜ Andrae, IPRax 2006, 82. Zur ausschließlichen Zuständigkeit der EU zur Erklärung des Einverständnisses mit dem Beitritt eines Drittstaats zum HKÜ siehe das Gutachten des EuGH FamRZ 2015, 21.

2. Zeitlicher Anwendungsbereich

 

Rz. 91

In zeitlicher Hinsicht setzt das Übereinkommen nach Art. 35 Abs. 1 HKÜ voraus, dass das widerrechtliche Verbringen oder Zurückhalten nach Inkrafttreten des Abkommens in beiden Staaten stattgefunden hat.[244] Für Deutschland gilt das HKÜ seit 1.12.1990.[245]

[244] Vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 1992, 848.
[245] BGBl 1991 II, S. 329.

3. Persönlicher Anwendungsbereich

 

Rz. 92

Nach Art. 4 S. 2 HKÜ kann das Übereinkommen nicht mehr angewendet werden, sobald das Kind das 16. Lebensjahr vollendet hat. Der Altersgrenze liegt die Überlegung zugrunde, dass Kinder ab diesem Alter des Schutzes nicht mehr bedürfen, weil sie in der Regel gegen ihren Willen nicht mehr Opfer einer Entführung sein können.[246]

Nach Art. 4 S. 1 HKÜ muss sich das Kind unmittelbar vor der Verletzung des Sorgerechts oder des Rechts zum persönlichen Umgang in einem Vertragsstaat gewöhnlich aufgehalten haben.

Die Staatsangehörigkeit des Kindes ist unerheblich,[247] ebenfalls, ob das Kind im Staat, in dem die Rückgabe verlangt wird, seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.[248]

[246] Bach/Gildenast, Rn 105.
[247] AG Schleswig FamRZ 2001, 933.
[248] Mansell, NJW 1990, 2176.

4. Gewöhnlicher Aufenthalt

 

Rz. 93

Der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" entspricht mangels einer eigenen Bestimmung im HKÜ in etwa dem des MSA (siehe Rdn 45 ff.). Er bestimmt sich nach dem tatsächlichen Lebensmittelpunkt des Kindes und setzt zumindest auch einen Aufenthalt von nicht nur geringer Dauer und den Schwerpunkt der Bindungen des Kindes an dem betreffenden Ort voraus.[249] Allerdings stellt sich bei einem zwischen den Eltern praktizierten Wechselmodell die Frage, ob das Kind sowohl im Herkunfts- als auch im Zufluchtsstaat einen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann. Dies ist ebenso streitig wie die sich im Falle der Annahme eines doppelten gewöhnlichen Aufenthalts anschließende Frage, ob durch das Verbringen vom einen in den anderen dieser Staaten ein Sorgerecht verletzt werden kann,[250] im Ergebnis aber zu bejahen, weil es auf die Rechtslage im Herkunftsstaat ankommt und dort hat das Kind eben einen gewöhnlichen Aufenthalt.[251] Ist der neue Aufenthalt von vornherein auf eine längere Dauer angelegt, so kann der Aufenthalt auch unmittelbar zum gewöhnlichen Aufenthalt werden.[252] Insoweit ist auch der Bleibewille des Elternteils beim Umzug zu berücksichtigen.[253] Ebenso ist der (freilich sehr seltene) Sonderfall denkbar, dass ein Kind, das seinen Aufenthaltsort zwischen verschiedenen Ländern häufig gewechselt hat, keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 3 HKÜ innehat.[254]

Zum gewöhnlichen Aufenthalt bei Geltung der Brüssel IIa-VO siehe eingehend Rdn 161.

[249] Sehr lesenswert OLG Frankfurt, FamRZ 2006, 883 mit umfangreicher rechtvergleichender Auslegung dieses Begriffes, auf die verwiesen werden kann; Anm. Völker, jurisPR-FamR 22/2006, Anm. 6; siehe auch OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1235 bezüglich eines Säuglings; OLG Hamm ZKJ 2013, 35; OLG Hamm FamFR 2012, 141 m.w.N.; OLG Stuttgart FamRZ 2013, 51; FamRBint 2011, 74; OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 112 (2 1//2 Monate reichen nicht).
[250] Zum Meinungsstand OLG Nürnberg FamRZ 2007, 1588 m.w.N.
[251] Dem zustimmend Heilmann/Schweppe, Art. 8 Brüssel IIa-VO Rn 8; zu wechselnden Aufenthalten der Eltern siehe OLG Stuttgart FamRZ 2003, 959.
[252] KG FamFR 2013, 552; OLG Saarbrücken FamRZ 2011, 1235; OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 1577.
[253] EuGH FamRZ 2011, 617; KG FamFR 2013, 552.
[254] AG Hamm NJW-Spezial 2014, 485; die hiergegen eingelegte Beschwerde (OLG Hamm – 11 UF 74/14, n.v.) wurde zurückgenommen.

5. Umfang

 

Rz. 94

Nach Art. 2 HKÜ sollen die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen treffen, insbesondere die schnellstmöglichen Verfahren anwenden, um in ihrem Hoheitsgebiet die Ziele des Übereinkommens zu verwirklichen.

Es ist zu überprüfen, ob das bestehende Sorgerecht und das Recht zum persönlichen Umgang[255] in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird.

Unter das Sorgerecht[256] fällt jedoch nur die Personensorge, Art. 5 Buchstabe a HKÜ. Es reicht ein Mitsorgerecht.[257] Zum Sorgerecht zählen das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Erziehung, die Ausbildung und der Umgang mit Dritten. Der Bereich der Vermögenssorge fällt nicht unter das Abkommen.

 

Rz. 95

Das Recht zum persönlichen Umgang umfasst das Recht, das Kind für eine begrenzte Zeit an einen anderen Ort als den gewöhnlichen Aufenthaltsort zu b...

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