Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 172
Der Tatsache, dass die Patienten in Arzthaftungsstreitigkeiten häufig mehrere Parteien in Anspruch nehmen und verklagen, entspricht die ebenfalls nicht bestreitbare Tatsache, dass die Gerichte auch mehrere Beklagte gesamtschuldnerisch verurteilen. So kommt insbesondere in geburtshilflichen Fällen in Betracht, dass zum einen die Geburtsklinik, zum anderen der Belegarzt, zum dritten die Beleghebamme, aber auch ein Stationsarzt oder auch der die Schwangerschaft betreuende niedergelassene Arzt, der nicht mit dem Belegarzt identisch sein muss, verurteilt werden. Ebenso kommt es häufig vor, dass nicht alle in Betracht kommenden verantwortlichen Personen verklagt werden, teils ihnen der Streit verkündet wird, teils sie aber auch überhaupt nicht in den Rechtsstreit einbezogen werden und im Anschluss an die Verurteilung gefragt werden muss, ob nicht eine gesamtschuldnerische Haftung des nicht mitverklagten Verantwortlichen in Betracht kommt. Wenn der Versicherer für den verurteilten Gesamtschuldner reguliert, geht gem. § 86 Abs. 1 S. 1 VVG (= § 67 VVG a.F.) der Anspruch auf den Versicherer über. In all diesen Fällen ist die Höhe des Ausgleichsanspruchs unter Berücksichtigung der Versicherungsbedingungen einerseits und der Zuordnung sowie des Gewichts der Verantwortung der Beteiligten andererseits zu ermitteln, eine oft schwierige Aufgabe, die regelmäßig außergerichtlich zwischen den Versicherern geregelt wird. So kann eine Rolle spielen, wann die Pflichtverletzung einer Beleghebamme sich ereignet, etwa zu einem Zeitpunkt, in dem sie noch im Pflichtenkreis der Geburtshilfe, oder aber – nach Übernahme der Geburtsleitung – im Pflichtenkreis des Belegarztes tätig ist. Es kann eine Rolle spielen, wem das Liquidationsrecht überlassen wurde, inwieweit die Pflichtverletzung der Hebamme mit der Pflichtverletzung des Belegarztes korreliert, ob diesen eine eigene Pflichtverletzung trifft, oder lediglich die Verantwortung über die Erfüllungsgehilfeneigenschaft der Beleghebamme. Soweit es den Beitrag des Versicherers der Geburtsklinik betrifft, kann eine Rolle spielen, ob die Tätigkeit der verantwortlichen Beleghebamme zwar eine dienstvertragliche Tätigkeit für die Belegklinik ist, wegen der ihr das Liquidationsrecht zusteht, oder ob daneben auch ein eigenes Organisationsverschulden der Geburtsklinik in Betracht kommt. Immer wird der Einzelfall maßgebend sein.
Der BGH hatte sich mit der schwerwiegenden Frage zu beschäftigen, wie bei der Mehrfachversicherung der Innenausgleich zwischen den Versicherern durchzuführen ist, wenn die Mehrfachversicherung nur eine bestimmte Schnittmenge der Behandlungsabschnitte betrifft.
Leitsatzmäßig führt der BGH aus:
Zitat
Ist das identische Interesse gegen die identische Gefahr mehrfach haftpflichtversichert, liegt ein Fall des § 78 Abs. 1 Alt. 2 VVG vor, der zu einem Innenausgleich zwischen den Haftpflichtversicherern führt. Dies gilt auch dann, wenn sich die Mehrfachversicherung nur für eine Schnittmenge bestimmter Tätigkeiten (hier: ambulante Vorbereitungsmaßnahmen eines Arztes in niedergelassener Tätigkeit für eine spätere stationäre operative Behandlung als Honorararzt) ergibt (Teilidentität von Interesse und Gefahr).
Der Innenausgleich zwischen den Versicherern gem. § 78 Abs. 1 und 2 VVG hat grundsätzlich Vorrang vor einem Regress gegen den Versicherten nach § 86 Abs. 1 VVG.“
Rz. 173
Ausgleichsansprüche des Gesamtschuldners gegen den anderen Gesamtschuldner gem. § 426 BGB unterliegen der Verjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren. Die Gefahr der Verjährung des Rückgriffsanspruchs gilt naturgemäß in gleicher Weise für den auf den regulierenden Versicherer übergegangenen Anspruch des Geschädigten gegen den Versicherungsnehmer. Da die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB), wird regelmäßig eine Streitverkündung gegenüber den in Betracht kommenden Gesamtschuldnern oder ein entsprechender Verjährungsverzicht schon während des Laufs des Haftungsrechtsstreits in Betracht kommen.