Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
a) Schadenereignisbegriff
Rz. 119
Die meisten Arzthaftpflichtversicherer treffen in ihren Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Haftpflichtversicherung Ärzte (BBR) keine eigenen Regelungen zur zeitlichen Bestimmung des Deckungsschutzes, sondern legen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) zugrunde. Die AHB knüpfen die Leistungspflicht des Versicherers an das "Schadenereignis". Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz, wenn das Schadenereignis während der Wirksamkeit der Versicherung eintritt (Ziff. 1.1 (1) AHB). Damit sind die Probleme aber nur scheinbar gelöst. Fraglich bleibt, welchen Umstand man als Schadenereignis versteht. Auf den Beispielsfall bezogen (siehe Rdn 118) sind verschiedene Anknüpfungspunkte denkbar: der Eingriff, die Rekanalisation, die Empfängnis oder die Geburt.
Hierzu haben sich zwei unterschiedliche Lösungsmodelle herausgebildet, die üblicherweise als Verstoßtheorie und als Schadenereignistheorie bezeichnet werden. Der BGH wies zu Recht darauf hin, dass diese Bezeichnungen irreführend sind. Beide Theorien knüpfen an ein Schadenereignis als maßgeblichen Zeitpunkt an, während allein streitig sei, wie dieser Zeitpunkt bestimmt werde. Der BGH verwendet daher die Begriffe "Kausalereignistheorie" und "Folgeereignistheorie". Zum besseren Verständnis werden in dem weiteren Verlauf aber die eingeführten Begriffe Verstoßtheorie bzw. Schadenereignistheorie beibehalten.
b) Schadenereignis- oder Folgeereignistheorie
Rz. 120
Bis 1982 formulierte Ziff. 1.1 AHB noch, ein "Ereignis" und nicht ein "Schadenereignis" müsse während der Wirksamkeit der Versicherung eingetreten sein. In seiner Entscheidung vom 27.6.1957 definierte der damals für das Recht der Allgemeinen Haftpflichtversicherung zuständige II. Zivilsenat diesen Begriff. "Ereignis" sei nicht die einzelne Schadenursache, sondern das Schadenereignis selbst, also das äußere Ereignis, das den Personen- oder Sachschaden unmittelbar ausgelöst habe. Nachdem es nunmehr in den AHB ausdrücklich "Schadenereignis" und nicht nur "Ereignis" heißt, wird teilweise die Auffassung vertreten, die Schadenereignistheorie sei – auch für die Arzthaftpflichtversicherung – endgültig festgeschrieben worden. Nach der Schadenereignistheorie ist Schadenereignis der nach außen erkennbare Vorgang, dem der Schadeneintritt unmittelbar folgt.
Der Unterschied zwischen Verstoß und Schadenereignis wird besonders deutlich bei der fehlerhaften Verordnung eines Medikamentes, welches der Patient dann erst Wochen später einnimmt. Wenn nun zwischen Verordnung und Schaden ein Versichererwechsel vorliegt, ist nach Ziff. 1.1 AHB der spätere Versicherer zuständig.
c) Verstoß- oder Kausalereignistheorie
Rz. 121
In seinem Urt. v. 4.12.1980 definierte der BGH den Ereignisbegriff i.S.d. Ziff. 1.1 S. 1 AHB. Für die zeitliche Abgrenzung des Versicherungsschutzes komme es darauf an, wann die Handlung oder Unterlassung begangen worden sei, für die der Versicherte von dem Dritten in Anspruch genommen werde. Im konkreten Fall ging es seinerzeit um die Betriebshaftpflichtversicherung für Sachschäden durch unsachgemäßen Gebrauch von Pflanzengift. Dem BGH zufolge kam es darauf an, ob das Versprühen des Giftes in die Versicherungszeit fiel, und nicht darauf, wann dieses Gift wirkte. Der BGH stellte sich damit ausdrücklich gegen das BGH-Urteil aus dem Jahr 1957 und in die Tradition einer Entscheidung des Reichsgerichtes aus dem Jahr 1943. Als Reaktion auf das Urteil ersetzten die Versicherer den Begriff "Ereignis" in den AHB durch "Schadenereignis".
Die Instanzgerichte übernahmen die geänderte Rechtsprechung des BGH, und zwar sowohl hinsichtlich der früheren Fassung der AHB mit "Ereignis" als auch ausdrücklich bei Verwendung des Begriffes "Schadenereignis". Das OLG Nürnberg gab in einer Entscheidung aus dem Jahr 2000 zur Problematik der Nachhaftungsversicherung bei Strahlenschäden infolge ärztlicher Behandlung der Verstoß- oder Kausalereignistheorie den Vorzug. Dem dort entschiedenen Fall lagen zwar noch die AHB in der alten Fassung zugrunde, in denen Versicherungsschutz gewährt wurde für ein während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenes "Ereignis", das einen Schaden zur Folge hat, und nicht für ein "Schadenereignis". Geht man aber mit dem BGH und dem OLG Nürnberg bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen vom Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers aus, so spricht viel dafür, unabhängig von der Terminologie "Ereignis" oder "Schadenereignis" den Verstoß und nicht den Schadeneintritt als maßgeblichen Zeitpunkt für den Versicherungsschutz zugrunde zu legen.
d) Konsequenzen für die Arzthaftpflichtversicherung
Rz. 122
Bis heute steht eine höchstrichterliche Entscheidung aus, ob mit dem Austausch des Begriffes "E...