Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 11
Der Gesamtverband Deutscher Versicherer (GDV) hat im Jahre 2009 eine Projektgruppe eingerichtet, welche die Entwicklung schwerer Personenschäden im Heilwesensegment untersucht hat. Die Untersuchungen haben ergeben, dass der Schadenaufwand bei den Großschäden überproportional gestiegen ist. Den größten Anteil am Schadenaufwand haben die vermehrten Bedürfnisse, und zwar mit einer Steigerungsrate von 9 % p.a. Die Erwerbschadenkomponente wächst auf über 11 % p.a. Der Anstieg der Schmerzensgeldzahlungen liegt bei 3,4 % p.a. Die Heilbehandlungskosten selbst weisen keinen wesentlichen Kostenanstieg auf. Dabei ist der mittlere Aufwand für Geburtsschäden wiederum überproportional gestiegen, und zwar bei den vermehrten Bedürfnissen um 14 % p.a., bei der Erwerbschadenkomponente um fast 18 % p.a. Es ist in Anbetracht des Ärztemangels und der notwendigen Delegation ärztlicher Leistungen auf nicht ärztliches Personal mit einem weiteren Schadenanstieg zu rechnen.
Rz. 12
Eine Auswertung von etwa 6.000 Schadensfällen der GVV-Kommunalversicherung aus den sog. Hochrisiko-Fachrichtungen – hierzu zählen erfahrungsgemäß die Anästhesie, Chirurgie, Unfallchirurgie/Orthopädie und Gynäkologie/Geburtshilfe – macht die besondere wirtschaftliche Bedeutung der Krankenhaushaftpflicht deutlich:
Der durchschnittliche Schadenaufwand für jeden gemeldeten Schadenfall beläuft sich demnach in der Anästhesie, Chirurgie, Unfallchirurgie/Orthopädie und Gynäkologie immerhin auf etwa 19.000 bis 22.000 EUR. Während die Unfallchirurgen/Orthopäden "nur" einen Durchschnittswert von 18.900 EUR aufweisen, verursacht jeder Schadenfall aus der Gynäkologie rein rechnerisch einen Aufwand von 21.986 EUR.
Der durchschnittliche Schadenaufwand für jeden gemeldeten Schadenfall aus der Geburtshilfe beträgt 233.719 EUR.
Als Spätschäden werden solche Schadensfälle bezeichnet, die erst Jahre nach Ihrer Entstehung, teilweise erst kurz vor Ablauf der 30-jährigen Verjährungsfrist, gemeldet werden. Hier muss zu den im Entstehungsjahr des Schadens gültigen Versicherungsbedingungen und -summen viele Jahre später ein Anspruch reguliert werden, der durch Preissteigerungen und Verschärfung der Rechtsprechung unter Umständen ein Mehrfaches gegenüber den im Ereignisjahr gültigen Kosten beträgt. Geschädigte, vor allem aber auch Sozialversicherungsträger, erfahren manchmal erst nach Jahren und oft durch Zufall, dass eine nicht erfolgreiche Behandlung nicht schicksalhaft, sondern schuldhaft fehlerhaft war. Eine "Welle" von Spätschäden wurde beispielsweise durch die Krankenkassen gemeldet, die sämtliche Schwerstpflegefälle, die bereits seit der Geburt Leistungen empfangen, systematisch überprüft hatten.
In den ausgewerteten 380 geburtshilflichen Schadenfällen beläuft sich der Gesamtaufwand auf über 88 Mio. EUR. Niedergelassene, Geburtshilfe anbietende Gynäkologen oder Belegärzte müssen mittlerweile Versicherungsjahresbeiträge von 20.000 EUR bis 40.000 EUR aufbringen – Beträge, die nicht mehr zu erwirtschaften sind. Es gibt bereits erste Schadensfälle von (insolventen) gynäkologischen Belegärzten, die die Prämie für ihre Berufshaftpflichtversicherung nicht mehr bezahlen konnten und folglich ohne wirksamen Haftpflichtversicherungsschutz praktiziert haben. Die Haftpflichtversicherungsprämien für Krankenhäuser und deren Mitarbeiter haben sich in fünf Jahren insgesamt um ein Drittel erhöht.
Für die Versicherungswirtschaft besteht die Gefahr, dass die Verteuerung der Schäden verkannt bzw. unterschätzt wird. Dies kann umfangreiche Nachreservierungen erforderlich machen. Daraus resultieren erhebliche Schwierigkeiten für die Prämienkalkulation. Der GDV fordert in seiner Studie, dass bei schweren Personenschäden frühzeitig die Reservekalkulation nach einzelnen Schadenspositionen aufzugliedern ist; diese Reservekalkulation ist fortlaufend, mindestens 1x jährlich zu überprüfen. Das Heilwesensegment erfordert also besondere Aufmerksamkeit in Sparten Controlling und im Risikomanagement.