Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 164
Nach Ziff. 5.2 AHB gilt der Versicherer "als bevollmächtigt, alle ihm zur Abwicklung des Schadens oder Abwehr der Schadensersatzansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen des Versicherungsnehmers abzugeben". Ein vom Haftpflichtversicherer des auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Arztes dem geschädigten Patienten erteiltes deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist grundsätzlich von der dem Versicherer zustehenden Vollmacht aufgrund Ziff. 5.2 AHB (im Außenverhältnis) und seiner Geschäftsführungsbefugnis (im Innenverhältnis) gedeckt und bindet auch den Versicherungsnehmer.
Die Regulierungsvollmacht des Versicherers nach Ziff. 5.2. AHB gilt uneingeschränkt, und zwar auch dann, wenn der geltend gemachte Schadensersatzanspruch des Patienten die Deckungssumme übersteigt oder der Versicherungsvertrag eine Selbstbeteiligung vorsieht. Der Versicherungsnehmer hat aber nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein Widerrufsrecht, soweit die geltend gemachten Haftpflichtansprüche die Deckungssumme übersteigen. Will der Versicherer von sich aus seine umfassende Regulierungsvollmacht auf die Deckungssumme beschränken, muss er dies dem Geschädigten deutlich kenntlich machen. Die Regulierungsvollmacht umfasst auch die Vollmacht, einen Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung zu erklären.
Zwar kann der Versicherungsnehmer den Haftpflichtanspruch anerkennen und seinen Freistellungsanspruch an den Geschädigten abtreten, eine solche Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Geschädigten spielt in der Praxis allerdings kaum eine Rolle und dürfte auf Ausnahmefälle beschränkt sein, da andernfalls das Vertrauensverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer dauerhaft gestört wäre.
Die Beteiligung des Heilwesenversicherers am Schlichtungsverfahren gestaltet sich in den einzelnen Kammerbezirken unterschiedlich. Bei der Norddeutschen Schlichtungsstelle, in Westfalen-Lippe und in Bayern ist der Heilwesenversicherer Beteiligter des Verfahrens, in den anderen Verfahrensorten nicht.
Rz. 165
Da die Regulierungsvollmacht ihren Grund in der Regulierungspflicht des Haftpflichtversicherers hat, dauert sie solange an, wie die Regulierungspflicht besteht. Die Regulierungsvollmacht besteht daher auch nach Beendigung des Versicherungsvertrages fort, wenn der Versicherungsfall während der Versicherungszeit eingetreten und die Regulierung noch nicht abgeschlossen ist. Der Arzthaftpflichtversicherer ist nach der vom BGH vertretenen Verstoß- oder Kausalereignistheorie also auch dann noch zur Regulierung verpflichtet und bevollmächtigt, wenn die ärztliche Handlung als das Schadenereignis in die Zeit des Versicherungsvertrages fällt, der Versicherungsfall aber erst nach Vertragende auftritt und zur Anspruchserhebung führt.
Rz. 166
Eine verzögerte Schadensregulierung birgt für den Versicherer im Arzthaftungsprozess die Gefahr einer Erhöhung des zuerkannten Schmerzensgeldes. Zumindest dann, wenn sich der Haftpflichtversicherer des Arztes in nicht mehr verständlicher und in hohem Maße tadelnswerter Weise dem berechtigten Entschädigungsverlangen des Geschädigten entgegenstellt, kann dies bei der Schmerzensgeldbemessung zu Lasten des Schädigers berücksichtigt werden. In dem vom OLG Frankfurt a.M. entschiedenen Fall hatte der Versicherer trotz eines klar zu Tage liegenden Diagnosefehlers des beklagten Arztes die Zahlung selbst eines bescheiden bemessenen Schmerzensgeldes von einer Abfindungserklärung auch bezüglich sämtlicher noch unbekannter zukünftiger Ansprüche abhängig gemacht. Ein solches Verhalten sei nur akzeptabel, wenn ernsthafte Zweifel am Haftungsgrund beständen, nicht aber, wenn die Leistungspflicht nicht ernsthaft zu bezweifeln sei. Das Gericht verdoppelte daher das an sich angemessene Schmerzensgeld.
Eine das Schmerzensgeld erhöhende Verzögerung liegt aber nicht schon dann vor, wenn sich der Arzt bzw. der Versicherer gegen seine Inanspruchnahme wehrt. Schuldhafte Verzögerung setzt "vorwerfbares oder jedenfalls nicht nachvollziehbares" Prozessverhalten voraus. Auch das Ausbleiben von Akontozahlungen kann schmerzensgelderhöhend wirken.
Rz. 167
Neben der Regulierung berechtigter Ansprüche ist der Versicherer zudem dazu verpflichtet, unberechtigte Ansprüche abzuwehren (Rechtsschutzverpflichtung). Diese Verpflichtung ergibt sich aus Ziff. 5.1 AHB und stellt neben der Befriedigung begründeter Haftpflichtansprüche eine gleichrangige Hauptleistungspflicht des Versicherers dar, nicht nur eine untergeordnete Nebenpflicht. Kommt der Versicherer der Rechtsschutzverpflichtung nicht nach, verhält er sich vertragswidrig, was wiederum Ersatzansprüche seines Versicherungsnehmers begründen kann.