Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 94
Der Haftpflichtversicherer muss nach § 81 Abs. 2 VVG auch bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer decken (§§ 81 Abs. 1, 103 VVG). Nur Ansprüche von Personen, die den Schaden vorsätzlich herbeiführen, sind von der Haftung ausgeschlossen. An diesem Punkt wirkt sich spürbar die VVG-Reform aus, bei der das frühere "Alles-oder-nichts-Prinzip" aufgegeben wurde. Der Gesetzgeber hält es weiterhin für angemessen, eine Leistungsfreiheit des Versicherers bei vorsätzlicher Herbeiführung des Schadenfalles anzunehmen. Bei grober Fahrlässigkeit wird die Konsequenz der vollständigen Leistungsfreiheit als nicht mehr angemessen angesehen. Nach der früheren Rechtslage war zwar nach den AHB eine Haftung des Versicherers auch bei grober Fahrlässigkeit gegeben, dies war jedoch abdingbar. Die Konsequenzen eines Haftungsausschlusses bei grober Fahrlässigkeit wären für den Versicherungsnehmer enorm. Deshalb wird von den Heilwesenversicherern eine solche individualvertragliche Abweichung von den AHB in der Praxis so gut wie nicht vereinbart.
Rz. 95
Wenn der Krankenhausträger – sehr selten – für die Mitarbeiter die Mitversicherung für grob fahrlässiges Verhalten ausschließt, entsteht für den Krankenhausarzt eine nicht unbeträchtliche Versicherungslücke. Nach der Rechtsprechung des BGH und § 630h BGB führt ein grober Behandlungsfehler für den Patienten beim Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität zu Beweiserleichterungen bis hin zur Kausalitätsvermutung. Der Kläger bemüht sich deshalb in nahezu jedem Arzthaftpflichtfall, einen groben Behandlungsfehler nachzuweisen, um von Beweiserleichterungen zu profitieren. Nicht jeder "grobe Behandlungsfehler" ist grob fahrlässig begangen. Seine Feststellung durch das Gericht legt es dem Versicherer aber nahe, sich auf einen etwa vereinbarten Deckungsausschluss zu berufen.
Rz. 96
Wenn ein grober Behandlungsfehler grobe Fahrlässigkeit des Arztes impliziert, fehlt dem Arzt der Versicherungsschutz und dem Patienten bei Großschäden ein solventer Schuldner, wenn ausnahmsweise ein Deckungsausschluss bei grober Fahrlässigkeit vereinbart sein sollte. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit im Einzelfall häufig schwierig. Wegen der daraus resultierenden Konflikte zwischen Arzt, Patient, Krankenhausträger und Versicherer empfiehlt es sich, die Ausgrenzung der groben Fahrlässigkeit aus dem Schutz der Betriebshaftpflichtversicherung zu vermeiden. Andernfalls muss der Arzt im eigenen Interesse die Deckungslücke durch eine persönliche Zusatzversicherung schließen.
Rz. 97
Diese unzweckmäßige Konsequenz des "Alles-oder-nichts-Prinzips" ist nunmehr aufgehoben, sie wurde abgelöst durch ein Recht des Versicherers, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnisses zu kürzen. Im Ergebnis führt die Neuregelung zu einer Quotenbildung bei der Leistungskürzung wegen grober Fahrlässigkeit, die sich auch an anderer Stelle des VVG wiederfindet, zum Beispiel bei der Verletzung von Obliegenheiten oder Anzeigepflichten. Wie das Kürzungsrecht des Versicherers bei der Verletzung von Obliegenheiten oder Anzeigepflichten in der Praxis umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Forensische Bedeutung hat die Sache kaum.