Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 176
Neben dem in Deutschland bestehenden Prinzip der Deckung eines schuldhaft herbeigeführten Versicherungsfalls nach § 100 VVG sind andere Deckungskonzepte denkbar.
Die Patientenversicherung gewährt dem Patienten verschuldensunabhängige Ansprüche bei objektiven ärztlichen Behandlungsfehlern. Patientenversicherungen wurden seit 1975 zunächst in Schweden und dann, mit Modifizierungen, in weiteren skandinavischen Ländern eingeführt. Dieser grundsätzlich andere Ansatz zur Abwicklung von Medizinschadensfällen hat für den Patienten den Vorteil, dass auf den häufig schwierigen Kausalitätsnachweis verzichtet werden kann. Vorteilhaft für den Arzt ist der Verzicht auf die Feststellung eines imageschädigenden Verschuldens. Dieses alternative Konzept könnte nach Ansicht einiger Autoren Vorbildfunktion für eine Reform des Arzthaftungsrechtes auch in Deutschland haben. Es fehlt aber auch nicht der Hinweis auf die Kosten einer solchen Versicherung und auf die ungeklärte Frage, wer mit den Prämien belastet werden soll.
Rz. 177
Kaum bemerkt blieb, dass es in Deutschland bis 1994 eine verschuldensunabhängige Haftung bei Behandlungsfehlern gab, und zwar als Erbe der DDR. 1987 erließ der DDR-Gesundheitsminister eine "Anordnung über eine erweiterte materielle Unterstützung (EMU) für Bürger bei Gesundheitsschäden infolge medizinischer Maßnahmen". Die Anordnung sah einen materiellen Ausgleich für die wirtschaftlichen Folgen von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen vor, jedoch keinen Schmerzensgeldanspruch. Bei einem gesetzgeberischen Willen zur Einführung einer Patientenversicherung hätte die Anordnung also durchaus einen Ansatzpunkt zu Reformen geboten. Die Anordnung behielt aber nur für Altfälle vorübergehend durch den Einigungsvertrag ihre Gültigkeit und lief 1994 durch das Unterstützungsabschlussgesetz aus.
Rz. 178
Versicherungsprämien für jede Medizinschadensversicherung müssen – wie heute auch schon – in irgendeiner Weise vom Gesundheitssystem aufgebracht werden. Sollten mit einer verschuldensunabhängigen Patientenversicherung tatsächlich höhere Kosten verbunden sein, dürfte diese angesichts der geplanten Einsparungen im Gesundheitswesen endgültig keine Realisierungschance haben. Aber auch unabhängig von der Kostenfrage würde die Einführung einer Patientenversicherung einen grundlegenden Systemwechsel bei der Arzthaftung und damit bei der Haftpflichtversicherung insgesamt darstellen. Ungeachtet aller Medienberichte über (angebliche) Mängel bei der Abwicklung von Medizinschäden steht die Patientenversicherung deshalb derzeit nicht auf der politischen Tagesordnung.
Rz. 179
Das Modell eines Entschädigungsfonds, auf freiwilliger Basis von Ärzten und Haftpflichtversicherern finanziert, könnte geschädigten Patienten bei vermuteten Behandlungsfehlern helfen.
Im Rahmen der Gesetzesberatungen zum Patientenrechtegesetz wurde aber die Einrichtung eines Entschädigungsfonds nach dem sog. Hamburger Modell von der Bundesregierung verworfen, weil ein Entschädigungsfonds dem geltenden Haftungssystem der Individualversicherung und Individualhaftung widerspricht. Außerdem wurde befürchtet, dass die Präventionswirkung des Haftungsrechts leer läuft, ganz abgesehen von den Finanzierungsfragen. So erscheint auch die Einrichtung eines "perinatalen" Hilfsfondses für geburtsgeschädigte Kinder nicht praxisgerecht, zumal fraglich ist, ob für ein einzelnes Fachgebiet eine solche Sondereinrichtung geschaffen werden kann. Das geltende Recht lässt eine Gerechtigkeitslücke nicht erkennen.
Im Koalitionsvertrag der "Ampel"-Regierung heißt: "Bei Behandlungsfehlern stärken wir die Stellung der Patientinnen und Patienten im bestehenden Haftungssystem. Ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen wird eingeführt." Hier steht jedoch ein Gesetzentwurf per Ende Mai 2024 aus. In der Diskussion werden Beweiserleichterungen für den Behandlungsfehler- und/oder den Kausalitätsnachweis erwogen. Auch hier würde die Feststellung bestimmter Wahrscheinlichkeiten jedoch eine entsprechende Begutachtung erfordern, so dass insbesondere unklar ist, wie das Ziel einer schnellen und unbürokratischen Entschädigung erreicht werden soll. Die weitere Diskussion nach Vorlage eines Gesetzesentwurfes bleibt daher abzuwarten.
Rz. 180
Ein Modell der Krankenhaushaftpflichtversicherung hat Österreich entwickelt. § 27a Abs. 6 des österreichischen Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes (KAKuG) stellt dem iatrogengeschädigten Krankenhauspatienten Gelder der öffentlichen Hand zur Verfügung, wenn "eine Haftung des Krankenanstaltenträgers nicht eindeutig gegeben ist". Die sozialversicherten Patienten finanzieren mit einem Beitrag Sondermittel, aus denen die Entschädigungsleistungen finanziert werden. Gesetzgeberische Erwägung ist, dass es "im wohlverstandenen Interesse aller Spitalpatienten gelegen ist, ein Schadenausgleichssystem zu finanzieren, das es ermöglicht, Ersatzleistungen für Fälle anzuerkennen, bei denen eine Haftung des Krankenanstalten...