Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 181
Die EG-Kommission unterbreitete 1990 den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Haftung bei Dienstleistungen, die an die Produkthaftungs-Richtlinie anknüpften sollte. Die Dienstleistungshaftungs-Richtlinie sah eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr vor. Der Nachweis des Nichtverschuldens bei der Personen- oder Sachbeschädigung sollte dem Dienstleistenden obliegen. Auch Dienstleistungen im Gesundheitsbereich unterfielen dem Anwendungsbereich der Richtlinie.
Rz. 182
Wegen der Schwierigkeiten beim Nachweis der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden hätte eine solche Beweislastumkehr einschneidende Folgen für die Arzthaftung und damit auch für die Arzthaftpflichtversicherung gehabt. Nach ablehnenden Reaktionen des zuständigen Ausschusses des Europäischen Parlamentes, des Wirtschafts- und Sozialausschusses und aus der Wirtschaft zog die Kommission 1994 diesen Richtlinienentwurf offiziell zurück.
Rz. 183
Der bisher von der EU-Kommission verfolgte Ansatz zur einheitlichen Regelung einer Dienstleistungshaftpflichtversicherung auch für Arztleistungen begegnete grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Regelungskompetenz der EU und wegen des damit verfolgten Systemwechsels, der sich kaum in das in Deutschland etablierte Haftungssystem integrieren ließ. So hätte die pauschale Beweislastumkehr wegen der Unberechenbarkeit des menschlichen Organismus faktisch zu einer beruflichen Erfolgshaftung des Arztes geführt. Bislang liegt noch kein neuer Vorschlag der Kommission zur Haftung der Dienstleistungsberufe vor. Angesichts des erheblichen Widerstandes gegen den ersten Richtlinienvorschlag ist zumindest eine identische Initiative auf EU-Ebene kaum zu erwarten.
Rz. 184
Die Schwierigkeiten der Arzthaftpflicht in der Versicherbarkeit des Arzthaftpflichtrisikos haben dazu geführt, dass Modelle zur Ersetzung der Arzthaftpflicht durch Versicherungsschutz gebildet wurden. Die Arzthaftung soll ersetzt werden durch eine besondere Heilbehandlungsrisikoversicherung nach den Modellen von Schweden oder Neuseeland. So forderte der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Zöller die Einrichtung eines "Entschädigungsfonds für Opfer von Ärztepfusch", der allerdings nicht die Arzthaftung ersetzen, sondern den Geschädigten eine Grundsicherung gewähren soll. Entschädigung soll nicht mehr aufgrund Arzthaftpflicht, sondern aufgrund Bedürftigkeit des Geschädigten gewährt werden.
Eine Arzthaftpflichtrisikoversicherung oder Heilbehandlungsrisikoversicherung gewährt den Patienten in Schweden und Neuseeland einen unmittelbaren Direktanspruch gegen den Versicherer bei Vorliegen eines näher zu definierenden Behandlungsfalls unabhängig von der persönlichen Verantwortung des Schädigers, also auch bei unverschuldetem Misslingen. Bedenken erweckt diese Lösung wegen der Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen iatrogenen und schicksalhaften Schäden, der Begrenzung des Schmerzensgeldes auf ein Minimum und geringerer Ersatzleistungen. In Schweden liegen die Entschädigungen zwischen 110.000 bis maximal 805.000 EUR, in Neuseeland werden noch geringere Beträge gezahlt, in Österreich maximal 150.000 EUR. Da ohnehin die Finanzierung und Finanzierbarkeit einer neuen Assekuranz ungeklärt ist, hat die Heilbehandlungsrisikoversicherung wenig Chancen auf Verwirklichung.
Rz. 185
Eine in manchen Ländern favorisierte Lösung ist die Regelung von Haftungshöchstsummen (vgl. auch Rdn 15 ff.). In den USA sind Haftungshöchstsummen teils für alle Schäden, teils für Schmerzensgeld und Strafzahlungen in etwa 30 Bundesstaaten eingeführt. Dies spricht für die vom Verfasser in Rdn 15 ff. aufgezeigte Lösung. Die Gefahr einer unbeschränkten Haftung ist für den Arzt als potentiellen Schuldner nur zu ertragen, wenn und soweit es eben theoretisch möglich ist, den Deckungsschutz der Haftpflichtversicherung zu wirtschaftlich tragbaren Konditionen zu erhalten. Nach allgemeiner Meinung ist es dem Arzt nicht möglich, eine Beschränkung oder einen Ausschluss seiner Haftung durch Vertragsbedingungen mit dem Patienten zu erreichen. Dies gilt erst recht im Notfall. In Betracht kommt daher eine Beschränkung der Höhe nach. Bruns vertritt die Auffassung, dass die Vereinbarung versicherungsgedeckter Haftungshöchstbeträge im Hinblick auf §§ 8 Abs. 3, 1 Abs. 2 S. 2 PartGG zulässig sein müsse. Man muss sich darüber einig sein, dass den Patienten eine vertragsadäquate Mindesthaftung gewahrt werden muss. Rechtssicherheit kann, da eine Vereinbarung nicht möglich ist, nur durch eine gesetzliche Beschränkung der Haftung des Arztes gefunden werden. Dies erscheint eines der dringenden, regelungsbedürftigen Probleme der nahen Zukunft zu sein. Härteauswirkungen bei Haftungshöchstsummen müssten dann – wie in Frankreich – durch einen Ausgleichsfonds abgefangen werden.