Rz. 142

Ebenso wie die Pflichten des Versicherers bzw. Versicherungsmaklers zeigen sich auch die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nach der VVG-Reform in einem neuen Licht. Die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung sind durch den Wegfall des "Alles-oder-nichts-Prinzips" ebenfalls differenzierter und einzelfallbezogen geworden. Die grob fahrlässige Verletzung von Obliegenheiten führt nicht mehr, wie früher noch in Ziff. 6 AHB geregelt, zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Hierzu später mehr (siehe unten Rdn 160). Von den gesetzlichen Obliegenheiten sind vor allem die §§ 105 und 108 VVG n.F. bedeutsam. Hinsichtlich der Obliegenheiten, wie sie sich aus den Ziff. 23 ff. AHB ergeben, bestehen für das versicherte Risiko der ärztlichen Tätigkeit einige Besonderheiten, die es zu beachten gilt.

1. Mitwirkung im Schadensfall

a) Anzeigepflichten

 

Rz. 143

Eine Änderung des versicherten Risikos ist anzeigepflichtig (Ziff. 13 AHB). Nach Ziff. 25.1 AHB hat der Versicherungsnehmer jeden Versicherungsfall dem Versicherer innerhalb einer Woche anzuzeigen. Diese Anzeigepflicht ist auch gesetzlich normiert in § 104 Abs. 1 VVG. Was unter einem "Versicherungsfall" nach den AHB zu verstehen ist, war lange Zeit umstritten, zumal in den AHB bis 2002 das Schadenereignis im Sinne des Ziff. 1 AHB a.F. anders als der Versicherungsfall i.S.d. Ziff. 5 AHB a.F. zu verstehen war. Beide Begrifflichkeiten standen nebeneinander. Durch die ausdrückliche Gleichsetzung von "Schadenereignis" und "Versicherungsfall" in den AHB 2004 fiel diese Differenzierung weg.[190] Die Maßgaben für die Anzeigenobliegenheit stehen somit auf einer Stufe mit dem zeitlichen Geltungsbereich des Versicherungsschutzes (hinsichtlich des Versicherungsschutzes und der Auslegung des Begriffes "Schadenereignis" sei auf die obigen Ausführungen verwiesen, siehe Rdn 121 ff.).

[190] Wenzel-Katzenmeier/Brennecke, Kap. 5 Rn 44 ff.

b) Schadensminderung

 

Rz. 144

Der Versicherungsnehmer ist nach Ziff. 25.2 AHB, der mit § 82 VVG n.F. korreliert, verpflichtet, unter Beachtung der Weisungen des Versicherers und im Rahmen des Zumutbaren alles zur Klarstellung des Schadenfalls und zur Abwehr oder Minderung des Schadens zu tun.[191] Die Obliegenheit des Versicherungsnehmers zur Schadenminderung ist nach den AHB 2008 auf das für den Versicherungsnehmer zumutbare Maß beschränkt. Diese Ergänzung von Ziff. 25.2 AHB geht auf das Zumutbarkeitskriterium in § 82 Abs. 2 VVG n.F. zurück. Wo allerdings die Grenzen der Zumutbarkeit zu setzen sind, wird die Rechtsanwendung zeigen. Die Anmeldung vieler Schäden erfolgt oft erst lange Zeit nach den tatsächlichen oder angeblichen Behandlungsfehlern. Dadurch wird die Klärung erschwert. Umso wichtiger ist es, dass der Arzt oder Krankenhausträger aufgrund der ärztlichen Informationen den Versicherer frühzeitig und umfassend informiert. Ebenso empfiehlt es sich, dem Versicherer möglichst frühzeitig die vollständigen Krankenunterlagen zur Verfügung zu stellen, damit dieser aufgrund sachkundiger Beratung durch den Gesellschaftsarzt oder einen beauftragten Gutachter die Berechtigung der Vorwürfe klären kann. Von den versicherten Personen sind auf Anforderung des Versicherers fachliche Stellungnahmen zu den Patientenvorwürfen abzugeben.[192]

 

Rz. 145

Der Arzt ist auch zur Mitwirkung im Prozess, zur Unterstützung des Versicherers und des von ihm eingeschalteten Anwaltes verpflichtet. Die Mitwirkung erstreckt sich insbesondere auf die fachkundige Schilderung des Behandlungsgeschehens. Das Gericht darf einen groben Behandlungsfehler nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht ohne ausreichende Grundlage in den medizinischen Darlegungen des Sachverständigen bejahen.[193] Die Einstufung eines Behandlungsfehlers als einfach oder grob ist wegen der daran geknüpften Folgen für die Beweislastverteilung meist prozessentscheidend. Erhebt eine Partei sachlich fundierte Einwendungen gegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten, so darf sich das Gericht mangels eigener medizinischer Sachkunde hierüber nicht durch eine eigene Bewertung hinwegsetzen, sondern hat auf Antrag der Partei den Sachverständigen zur ergänzenden Erläuterung seines Gutachtens zu laden.[194] In dem Verhandlungstermin ist dann die Anwesenheit des behandelnden Arztes unerlässlich, um gegebenenfalls zu den Ausführungen des Sachverständigen fachlich fundiert Stellung nehmen zu können.

 

Rz. 146

Der Versicherungsnehmer ist zur Information des Anspruchstellers berechtigt und verpflichtet. Im Rahmen der Unterstützung des Versicherers kann er dem Anspruchsteller auf dessen Wunsch die Anschrift des Haftpflichtversicherers mitteilen. Es besteht aber nach einer untergerichtlichen Entscheidung kein Auskunftsanspruch des Patienten, der die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aufgrund ärztlicher Fehlbehandlung beabsichtigt, auf Bekanntgabe der Berufshaftpflichtversicherung sowie der Versicherungsvertragsnummer gegenüber dem Arzt. Der ­Patient muss sich vielmehr zur Geltendmachung seiner Schadensersatzansprüche an den behandelnden Arzt selbst wenden.[195]

Zur Schadensminder...

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