Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
1. Schadenshäufigkeit
Rz. 8
Das Haftungsrisiko für Arzt und Krankenhaus – und dessen Versicherer – liegt weniger in der Anzahl der Haftungsfälle als in der Größenordnung, die ein einzelner Schadenfall erreichen kann. Zur Schadenshäufigkeit existiert keine offizielle Statistik. Es liegen nur Angaben mit unterschiedlichen Bezugsgrößen vor. In den USA sterben nach einem Bericht des IOM (Institute of Medicine) im Jahr zwischen 44.000 und 98.000 Patienten wegen eines Behandlungsfehlers in amerikanischen Krankenhäusern. In Deutschland werden beispielsweise ca. 200.000 Mammographien jährlich fehlbeurteilt. Die Anzahl der pro Jahr bei den Haftpflichtversicherern angemeldeten Haftpflichtansprüche wird 2002 auf ca. 30.000 bis 40.000 geschätzt mit steigender Tendenz. Bei der ehemaligen DBV-Winterthur-Versicherung, nun AXA, waren im Jahre 2006 122.000 Ärzte berufshaftpflichtversichert. Für diese Ärzte gingen im Jahr 2005 4.583 Meldungen über vermeintliche Behandlungsfehler bei der Versicherung ein, von denen sich 47 % als berechtigt und 53 % als unberechtigt herausstellten. Die Bundesärztekammer legt jedes Jahr bundesweit einheitlich erfasste Daten der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen vor. Diese werden seit 1979 von allen Kommissionen und Schlichtungsstellen erfasst und in einer bundesweiten statistischen Erhebung zusammengeführt. Die Bundesstatistik informiert über die wesentlichen qualitativen und quantitativen Aspekte der in den Begutachtungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse. Ziel ist es, Fehlerhäufigkeiten zu erkennen und Fehlerursachen auszuwerten, um sie für die Fortbildung und Qualitätssicherung zu nutzen. Jährlich gehen bei den Kommissionen über 10.000 Anträge ein, etwa ¼ bis 1/3 der Anträge sind begründet.
2. Schadensaufwendungen
Rz. 9
Die Schadensaufwendungen für die Krankenhaus-Haftpflicht zu bestimmen, ist komplex und schwierig, zumal neben Personenschäden auch Aufwendungen für Sach- und Vermögensschaden beachtet werden müssen. Die Statistiken, die es gibt, belegen einen eindeutigen Anstieg der Aufwendungen im Verlauf der letzten 15–20 Jahre.
Rz. 10
Die Schadensaufwendungen bei Arzthaftpflichtschäden für alle deutschen Krankenhausträger beliefen sich 1994 auf ca. 415 Mio. DM. Zahlen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) belegen einen weiteren Anstieg der durchschnittlichen Aufwendungen zwischen 2001 und 2005. Lag im Jahr 2001 die Schadenhäufigkeit je 1000 Betten bei 30,61 und der Schadendurchschnitt bei 7.033 EUR, so stiegen die statistischen Werte bis zum Jahr 2005 erheblich an. Es waren in 2005 47,49 Schäden je 1000 Betten gegeben (also + 55 %) und ein Schadensdurchschnitt von 8.922 EUR (also + 27 %). Weiterhin kann davon ausgegangen werden, dass der Schadendurchschnitt bei "schweren" Fachrichtungen (Geburtshilfe, kosmetische Chirurgie u.Ä.) spürbar höher ist als bei "leichten" Fachrichtungen. Sofern aber ein Schmerzensgeld zuerkannt wurde, betrug dieses seinerzeit durchschnittlich knapp 10.000 DM. Seitdem haben die Gerichte zumindest bei schwersten Gesundheitsschäden die Schmerzensgelder deutlich angehoben. Während die Höchstbeträge noch im Jahr 2000 bei 500.000 DM (250.000 EUR) lagen, erkennen die Gerichte heute auf Kapitalschmerzensgelder von bis zur doppelten Summe. Das höchste bisher ausgeurteilte Schmerzensgeld liegt bei einem Betrag i.H.v. 700.000 EUR. Hinzu kommen u.U. Dauerzahlungen für (Schmerzensgeld-)Renten, Verdienstausfall- bzw. Haushaltsführungsschäden oder erhöhten Pflegeaufwand. Der Gesamtschaden kann sich dann im Laufe der Jahre auf mehrere Millionen EUR belaufen. Wegen des hohen, schlecht kalkulierbaren Schadenvolumens einerseits und des Spätschadenrisikos andererseits haben sich viele Versicherer vom Krankenhausversicherungsmarkt zurückgezogen.
3. Grundlagenuntersuchung des GDV und GVV
Rz. 11
Der Gesamtverband Deutscher Versicherer (GDV) hat im Jahre 2009 eine Projektgruppe eingerichtet, welche die Entwicklung schwerer Personenschäden im Heilwesensegment untersucht hat. Die Untersuchungen haben ergeben, dass der Schadenaufwand bei den Großschäden überproportional gestiegen ist. Den größten Anteil am Schadenaufwand haben die vermehrten Bedürfnisse, und zwar mit einer Steigerungsrate von 9 % p.a. Die Erwerbschadenkomponente wächst auf über 11 % p.a. Der Anstieg der Schmerzensgeldzahlungen liegt bei 3,4 % p.a. Die Heilbehandlungskosten selbst weisen keinen wesentlichen Kostenanstieg auf. Dabei ist der mittlere Aufwand für Geburtsschäden wiederum überproportional gestie...