Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 130
Versicherungen nach dem Anspruchserhebungsprinzip (siehe oben Rdn 128) schließen konzeptionell einen Versicherungsschutz für Spätschäden aus, da diese erst nach Ablauf der Versicherungszeit sichtbar werden und zu Schadensersatzforderungen führen können. Um diesen Mangel auszugleichen, wird gleichzeitig mit dem Versicherungsschutz nach dem Anspruchserhebungsprinzip ein Nachhaftungsversicherungsschutz vereinbart. Der Schutz greift ein für Ansprüche, die nach Vertragsablauf erhoben werden und auf Schadenereignissen beruhen, die während der Vertragsdauer eingetreten sind. Dagegen bleiben Ansprüche aus Schadenereignissen, die nach Vertragsablauf eintreten, in jedem Fall vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.
Rz. 131
Die BBR der Versicherer, die vom Schadenereignisbegriff ausgehen und keine Versicherung nach dem Anspruchserhebungsprinzip anbieten, enthalten am Ende den Hinweis, dass bei Beendigung des Versicherungsvertrages durch vollständigen und dauerhaften Wegfall des versicherten Risikos – also bei Berufsbeendigung – auf Antrag des Versicherungsnehmers eine Nachhaftungsversicherung abgeschlossen werden kann. Diese Versicherung dehnt den Versicherungsschutz im Rahmen der vereinbarten Bedingungen und Versicherungssummen auf nach Vertragende eintretende Schadenereignisse aus, die durch eine betriebliche oder berufliche Tätigkeit vor Wegfall des versicherten Risikos herbeigeführt werden.
Rz. 132
Das Angebot einer Nachhaftungsversicherung ist aus Sicht der Haftpflichtversicherer konsequent, da sie die Schadenereignistheorie favorisieren und das Spätschadenrisiko beim Versicherungsnehmer sehen. Nach dieser Auffassung erlischt der Versicherungsschutz nach Ziff. 17 AHB bei Einstellung der Praxis oder des Krankenhausbetriebes wegen Risikowegfall. Der BGH scheint mit der von ihm favorisierten Verstoßtheorie aber das volle Spätschadenrisiko bei den Haftpflichtversicherern zu sehen. Bei konsequenter Anwendung der Verstoßtheorie fällt das versicherte Risiko auch nicht mit Beendigung der beruflichen Tätigkeit und selbst mit dem Tod des Arztes nicht weg. Stattdessen besteht das Risiko, das durch die versicherte Tätigkeit gesetzt wurde, in eingeschränktem Umfang weiter fort. Die Versicherung erlischt nicht automatisch nach Ziff. 17 AHB. Eine Nachhaftungsversicherung wird hierdurch überflüssig.
Beachte
Der Arzt oder Krankenhausträger verhält sich nach der hier vertretenen Auffassung konform zur Rechtsprechung, wenn er von der Aufnahme bis zur Einstellung des Berufs bzw. Betriebes eine Haftpflichtversicherung abschließt. Berufsbedingte Haftungsrisiken sind bis zum Beginn der Tätigkeit noch nicht entstanden. Schäden, die erst nach Einstellung der ärztlichen Tätigkeit auftreten, sind nach der Verstoßtheorie mitversichert. Ausdrücklich ist an dieser Stelle aber auf Folgendes hinzuweisen: Solange keine eindeutige höchstrichterliche Entscheidung zur Definition des Schadenereignisses und damit zur Dauer des Versicherungsschutzes in der Arzthaftpflichtversicherung vorliegt, ist dem Arzt oder Krankenhausträger bei Beendigung seiner Tätigkeit vorerst der Abschluss einer Nachhaftungsversicherung zu empfehlen. Nur so ist er auf der sicheren Seite.
Wegen des Spätschadenrisikos ist auch die sogenannte Ruhestandsversicherung zu empfehlen, die dem im Ruhestand befindlichen Krankenhausarzt oder auch niedergelassenen Arzt im Ruhestand bei gelegentlicher ärztlicher Tätigkeit Deckung des Risikos gewährt.