Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 110
Der Haftpflichtversicherer gewährt Rechtsschutz bei der Abwehr von unberechtigten und der Abwicklung von berechtigten Haftpflichtansprüchen. Die Versicherung umfasst die zur Verteidigung gebotenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten (§ 101 Abs. 1 S. 1 VVG).
1. Zivilverfahren
Rz. 111
Im Arzthaftungsprozess übernimmt der Versicherer nach Ziff. 5.2 AHB im Namen des Versicherungsnehmers die Prozessführung auf seine Kosten. Die Prozesskosten werden nicht als Leistungen auf die Versicherungssumme angerechnet (Ziff. 6.5 AHB). Der Versicherer trägt demnach alle Kosten, auch wenn Schadensersatz und Prozesskosten zusammen die Deckungssumme überschreiten. Das gilt laut BBR jedoch nicht bei Versicherungsfällen in den USA und Kanada. Wegen der u.U. sehr hohen Schadensersatzforderungen und Erfolgshonorare der Anwälte werden in diesen Fällen die Aufwendungen des Versicherers für Kosten auf die Versicherungssumme angerechnet. Das gilt auch dann, wenn die Kosten auf Weisung des Versicherers entstanden sind.
2. Selbstständiges Beweisverfahren
Rz. 112
Die Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens (§§ 485 ff. ZPO) im Arzthaftungsfall war in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Nach einer Auffassung sei das Verfahren zumindest bei der Feststellung der Ursache eines Personenschadens zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung ungeeignet und unzulässig. Die Gegenauffassung betont, dass eine Klärung des Behandlungsfehlervorwurfes auch im selbstständigen Beweisverfahren möglich sei und ein Zivilprozess dadurch vermieden werden könne. Der BGH hat die Rechtsfrage dahin entschieden, dass das selbstständige Beweisverfahren in Arzthaftungsverfahren grundsätzlich zulässig ist. Der Rechtsschutzanspruch entsteht aber bereits mit jeder ernstlichen Erhebung von Ansprüchen durch Dritte. Deshalb übernimmt der Versicherer ungeachtet dieser Diskussion auf jeden Fall auch die Kosten eines vom Patienten beantragten selbstständigen Beweisverfahrens.
3. Schlichtungsverfahren
Rz. 113
Alle Landesärztekammern haben, teils gemeinsam, Schlichtungsstellen bzw. Gutachterkommissionen zur unabhängigen, außergerichtlichen Überprüfung von Behandlungsfehlervorwürfen eingerichtet. Bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Verfahrensordnungen handelt es sich stets um ein freiwilliges Schlichtungs- und kein Schiedsverfahren. Die beteiligten Parteien, Arzt/Krankenhausträger, Patient und Versicherer, müssen der Durchführung des Schlichtungsverfahrens zustimmen. Die Gutachterkommission bzw. Schlichtungsstelle unterbreitet abschließend einen Einigungsvorschlag und trifft keine verbindliche Entscheidung.
Rz. 114
Da der Deckungsschutz auch die Kosten des Rechtsschutzes des Versicherungsnehmers umfasst, werden auch die Kosten des Verfahrens vor den Gutachterkommissionen bzw. Schlichtungsstellen der Landesärztekammer eingeschlossen. Die Haftpflichtversicherer leisten hier für den Versicherungsnehmer die von den Ärztekammern erhobenen Kostenbeiträge. Ebenso werden etwa anfallende Rechtsanwaltskosten des Versicherungsnehmers übernommen.
Rz. 115
Das Verfahren ist für den Patienten kostenfrei. Die Kosten für die Gutachtenerstellung übernimmt der Haftpflichtversicherer des Arztes. In dieser Phase beauftragt der Versicherer regelmäßig noch keinen Rechtsanwalt, sondern führt das Verfahren in eigener Regie durch. Erst wenn es trotz Schlichtungsspruchs zu einem Haftungsprozess kommt, wird ein Prozessbevollmächtigter eingeschaltet. Das im Schlichtungsverfahren eingeholte Gutachten kann im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden. Im Einzelfall übernimmt der Versicherer nach Abstimmung auch die Kosten eines vom Arzt beauftragten Rechtsanwaltes. Die Bundesärztekammer geht davon aus, dass etwa ¼ aller Arzthaftpflichtfälle von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern bewertet werden. Seit 1979 werden diese Daten erfasst und statistisch zusammengeführt. Seit 2006 besteht zudem das sog. Medical Error Reporting System (MERS), das EDV-gestützt sämtliche Daten über die einzelnen Vorwürfe und den Ausgang der Schlichtungsverfahren einheitlich erfasst und in einer Bundesstatistik zusammenführt. Derzeit werden jährlich etwa 10.000 bis 11.000 Anträge gestellt. Die Gesamtzahl der Sachentscheidungen, die bei den Schlichtungsstellen bundesweit im Jahre 2007 getroffen wurden, belief sich auf 7.049, wobei in 1.717 Fällen ein Behandlungsfehler mit kausalen Schäden bejaht wurde. Dies ergibt eine bei den Schlichtungsstellen festgestellte Fehlerquote von etwa 25 %. Interessant ist auch die Verteilung auf niedergelassene Ärzte bzw. Praxen auf der einen Seite und Kliniken auf der anderen Seite. Prozentual betrachtet richteten sich im Jahre 2007 die Verfahren zu 70 % gegen Kliniken ...