Rz. 34
Während der laufenden Regulierung können Umstände eintreten, die zu einer Änderung der Höhe der Rente oder der Laufzeit führen:
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zu Ungunsten (Abschläge vom Kapitalwert) des Verletzten bzw. Hinterbliebenen: Arbeitslosigkeit, Insolvenz des früheren Arbeitgebers, Erwerbsunfähigkeit, Wiederheirat; |
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zugunsten (Erhöhung des Kapitalwerts) des Verletzten: Erhöhung des Verdienstausfalles, des Geldunterhaltsschadens. |
Rz. 35
Diese Umstände werden bei laufender Regulierung beachtet (bei einem Urteil nach § 323 ZPO, bei außergerichtlicher Regulierung analog).
a) Abänderung
Rz. 36
Bei Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse ist eine Abänderung der Abfindung – etwa in analoger Anwendung des § 323 ZPO – nicht möglich (BGH VersR 1981, 283; BGH NJW 1981, 818 ff.: für Abfindung durch Urteil; BGH NJW 1984, 115: für den Vergleich). Es gelten aber die allgemeinen Grundsätze für die Anpassung eines Vergleiches gem. § 242 BGB wegen Wegfalls oder Fehlens der Geschäftsgrundlage. Realisieren sich die maßgeblichen Vorstellungen beider Parteien nicht und ist das Festhalten am Vergleich dem Geschädigten nach § 242 BGB nicht zuzumuten, ist der Vergleich entsprechend anzupassen, soweit dies wiederum dem Schädiger zuzumuten ist (OLG München zfs 1992, 293).
b) Rentendynamik
Rz. 37
Daraus folgt: Hinsichtlich dieser Verhältnisse muss eine Prognose gewagt werden, auch wenn sie noch so schwierig ist. Der BGH nennt als eines dieser Verhältnisse die Rentendynamik. Trotz aller Unsicherheiten sind Voraussagen über die wahrscheinliche künftige Steigerung des Lohn- und Gehaltsgefüges zu machen. Zu schätzen ist die Entwicklung der individuellen Rente. Die Rente wegen vermehrter Bedürfnisse wird – wegen der allgemeinen Kostensteigerungen – eine höhere Steigerung haben als die Verdienstausfallrente. Die Einkommenssteigerungen "hinken" manchmal hinter den Kostensteigerungen hinterher. Das rechtfertigt aber nicht die Annahme, die Rentendynamik sei Müll. Es kommt auf den konkreten Berufszweig des Geschädigten an: Bei dem Verdienstausfall wird zurzeit die Steigerung z.B. im Bereich Pharma- oder Stahlgroßhandel höher ausfallen als im Einzelhandel. Beachtet werden sollte auf jeden Fall eine Dynamik in Höhe der Inflationsrate – allenfalls mit einem kleinen Abschlag.
Beachte
Die Annahme einer Rentendynamik erhöht den Barwert.
Rz. 38
Hinsichtlich der Rentendynamik überzeugen die Ausführungen des Urteils des LG Stuttgart (DAR 2007, 467 ff.) nicht. Sie sind im Rahmen von § 287 ZPO nicht nachvollziehbar. Insoweit dürfte das Urteil unrichtig sein. Zur Rentendynamik äußert sich das Urteil wie folgt:
Rz. 39
Zitat
"Dem Abzinsungsfuß kann entgegen der Auffassung des Klägers ein Dynamikzuschlag auf die Renten nicht gegenüber gestellt werden. Die überschaubare Wirtschaftslage lässt keinen Raum, um von effektiven Lohn- und Rentensteigerungen auszugehen. Eine Rentendynamik kommt nur in Betracht, wenn mit Gehaltssteigerungen gerechnet werden könnte, die über den Kaufkraftschwund hinausgehen. Der jährliche Kaufkraftschwund, gemessen anhand des Verbraucherpreisindexes (abgedr. im Monatsbericht Dezember 2004 der Deutschen Bundesbank) betrug seit 1999 0,6 Prozent, 1,4 Prozent (2000), 2,0 Prozent (2001), 1,4 Prozent (2002) und 1,1 Prozent für 2003. Im Jahr 2004 stiegen die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vorjahr im Bereich von 1,6 Prozent. Die schwierige Wirtschaftslage für Arbeitnehmer, gekennzeichnet durch hohe Arbeitslosigkeit und die zunehmende Tendenz der Betriebe, Gehaltseinbußen ihren Angestellten abzuverlangen unter Hinweis darauf, dass andernfalls die Schließung des Betriebs oder die Abwanderung des Betriebs ins Ausland drohe, lässt vermuten, dass sich die Einkünfte zukünftig nicht über die Inflationsrate hinausgehend entwickeln werden. Die Elektrobranche ist von dieser Entwicklung nicht ausgenommen. Im Gegenteil hat der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall für die Metall- und Elektroindustrie darauf hingewiesen, dass die Basis für die künftigen Lohnsteigerungen sich nicht mehr Jahr für Jahr erhöhen dürfe. Bei guter Wirtschaftslage seien für die Beschäftigten allenfalls Pauschalzahlungen denkbar, angekoppelt an die wirtschaftliche Situation des jeweiligen Unternehmens (Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.12.2004, S. 9)."
c) Inflationsausgleich
Rz. 40
Bei der augenblicklichen Wirtschaftslage könnte die pessimistische Haltung des Gerichts, mit effektiven Lohnsteigerungen sei nicht mehr zu rechnen, noch im Rahmen von § 287 ZPO vertretbar sein. Allerdings geben die Lohnforderungen der Gewerkschaften Anlass zu der Vermutung, dass hier wieder einmal richterliche Lebenserfahrung mit der Realität nicht in Einklang steht. So ist es aber zumindest nicht einzusehen, warum die Gerichte nicht wenigstens die Inflation beachten.
Rz. 41
Wenn die Löhne die Inflationsrate nicht übersteigen werden, so ist doch wenigstens der Kaufkraftschwund zu beachten. In dieser Höhe werden die Löhne steigen. Somit ist die Inflationsrate zu beachten. Bei dem vom Gericht angenommenen Zinssatz von 3,75 % ist eine Dynamik in Höhe ...