Rz. 127
Bei Vergleichsverhandlungen sieht der Anwalt sich zwei Übeln gegenüber.
▪ |
Zum einen will die Assekuranz nicht das zahlen, was der Anwalt errechnet hat und was das Gericht möglicherweise zusprechen würde. Die einschlägigen Bücher geben ihm noch nicht einmal die Chance, eine richtige Berechnung vorzunehmen. Sie bieten keine niedrigen Zinssätze unter 4 % in ihren Tabellen. Das Landgericht Stuttgart greift deshalb zur Selbsthilfe. Es hat ein eigenes Rechenprogramm, um Barwerte zu errechnen. |
▪ |
Das andere Übel besteht in dem Umstand, dass die Beträge, welche die Assekuranz bereit ist zu zahlen, bereits zum Leuchten von Eurozeichen in den Augen des Geschädigten führen. Akzeptiert der Mandant dieses niedrige Angebot, begibt sich der Anwalt in die Gefahr einer Anwaltshaftung. Der Anwalt hat den Mandanten aufzuklären und zu beraten. Ggf. muss er protokollieren, dass der Mandant den niedrigeren Betrag akzeptiert, obwohl ein Gericht – wenn ein "wichtiger Grund" vorliegen würde – in etwa den Betrag zusprechen würde, den der Anwalt nach den hier vorgestellten Grundsätzen errechnet hat. |
Rz. 128
Das richtige Handwerkszeug für den Anwalt sind Tabellen mit Zinsfüßen auch unter 4 % (z.B. Tabellen von Nehls und dem Statistisches Bundesamt, jetzt aber auch endlich Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche von Personenschaden, 13. Auflage 2020) und die Software "capitalisator" bzw. Pardey. Wenn die Augen des Mandanten bei dem Angebot der Assekuranz nicht aufleuchten und er einen höheren Betrag begehrt, sollte der Anwalt einen Dynamikzuschlag fordern. Je mehr der Mandant bereit ist, dass – statt der unzulänglichen Kapitalisierung – weiter laufend rentenweise reguliert wird, könnte der Zuschlag von der Assekuranz dann doch noch in deren Interesse an schneller abschließender Bearbeitung des Falles bewilligt werden.
I. Berechnung
Rz. 129
Nach einer Mitteilung des Rückversicherers Swiss Re und einer Mitteilung des Bundesrechnungshofes sind in der Praxis Zinssätze von 0 bis 3 % üblich.
Nehmen wir das 2. Beispiel (vgl. Rn 95) mit dem Verdienstausfall bis 65 Jahre und für den Zuschlag 3 %. Der Zuschlag ergibt sich aus der Multiplikation von Faktor (Küppersbusch/Höher 10,797) und Zuschlagsprozentsatz (3).
Der Zuschlag beträgt 10,797 mal 3 = 32,391 %. Es errechnet sich folgender Barwert:
siehe oben nach Küppersbusch/Höher |
320.466 EUR |
zuzüglich Zuschlag von 32,39 % |
+ 103.799 EUR |
gesamt |
424.265 EUR |
Zum Vergleich die Berechnung mit dem "capitalisator":
414.118 EUR. Der Anwalt kann dem Mandanten zur Annahme raten.
Rz. 130
Beachte
Die Assekuranz leugnet in der Praxis regelmäßig das Erfordernis des Dynamikzuschlags.
II. Weitere Korrekturmöglichkeiten
Rz. 131
Die Wiederverheiratungschance ist ebenfalls statistisch errechnet und ergibt sich aus den Wiederverheiratungstabellen 17 und 18 (Tabellenangaben beziehen sich auf Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 7. Auflage 2000, dortiger Anhang Kapitalisierungstabellen, in der 8. Auflage 2004 nicht mehr vorhanden).
Rz. 132
Für die Kapitalisierung von Waisenrenten gibt es die Tabellen III/20 bis III/29 (Tabellenangaben beziehen sich auf Küppersbusch/Höher, 13. Auflage 2020, dortiger Anhang Kapitalisierungstabellen), die sich auf das Erreichen desjenigen Lebensalters beziehen, welches das Ende der familienrechtlich geschuldeten Ausbildung bezeichnet, also 16, 18 bzw. 21 Jahre.
Rz. 133
Zukünftige Einkommenssteigerungen (wegen beruflicher Karriere: Beförderung, Altersstufen) wie auch Einkommensreduzierungen (Arbeitsplatzrisiko, überholende Kausalität) sind korrigierend hinzu- bzw. abzurechnen. Korrekturen sind ferner vorzunehmen, wenn Rentenzahlungen oder Einkünfte aufgrund der Arbeitspflicht der Frau ab einem bestimmten Zeitpunkt berücksichtigt werden müssen.