1. Technik des Kapitalisierens
Rz. 70
Die Kapitalisierung ist ein Rechnungsvorgang. Durch ihn wird der aktuelle Kapitalwert von zukünftigen periodischen Leistungen (Renten pro Jahr) ermittelt. Ausgangspunkt ist der Zeitpunkt, von dem an gerechnet werden muss.
Rz. 71
Einer Kapitalisierung unterliegen nicht die Ansprüche aus der Vergangenheit. Sie sind einfach zu addieren und ggf. zu verzinsen. Einer Kapitalisierung unterliegen ausschließlich zukünftige Ansprüche.
Rz. 72
Der heutige Kapitalwert, welcher den künftigen Renten entspricht, heißt Barwert.
Merke
Der Barwert ist gleich Jahresrente mal Kapitalisierungsfaktor.
Rz. 73
Der einschlägige Faktor ist einer Kapitalisierungstabelle zu entnehmen (in der täglichen Praxis: Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Auflage 2020, Anhang: Kapitalisierungstabellen; aber auch Pardey, Berechnung von Personenschäden, 5. Auflage 2020 inkl. Onlinezugang zu einem EDV-Kapitalisierungsprogramm). Er wird zum einen bestimmt durch den Rechnungszinsfuß des Falles. Dieser steht horizontal im Tabellenkopf. Zum anderen durch die Laufzeit der Rente bzw. durch das Alter des oder der Betroffenen. Laufzeit bzw. Alter stehen vertikal in der Vorspalte der Tabellen.
Rz. 74
Wie auch schon beim Haushaltsführungsschaden, bei dem in der täglichen Regulierungspraxis mit Versicherern ausschließlich mit der Tabelle Schulz-Borck/Pardey gerechnet wird, die Gerichte aber stets die "konkrete Darlegung der individuellen Situation des Geschädigten" verlangen, lehnt die Rechtsprechung auch hier die Anwendung von Kapitalisierungstabellen mit dem gleichen Argument ab (BGH zfs 1981, 105 ff.). Das bedeutet, dass im Prozessfalle die einschlägigen Kapitalisierungstabellen nicht etwa einfach übernommen werden dürfen, sondern stets zu den individuellen Einzelumständen vorgetragen und Beweis angeboten werden muss.
Rz. 75
Es gibt – wie schon dargestellt (siehe Rdn 47) – zwei verschiedene Rentenarten:
▪ |
Bei Zeitrenten ist die Rentendauer zum Voraus in Jahren bestimmt. |
▪ |
Mortalitätsrenten, auch Leibrenten genannt, laufen so lange, wie eine Person lebt. Sie enden mit dem statistisch zu erwartenden Tod. Bei Tabellen für Leibrenten ist die Sterbetafel in den Faktoren bereits berücksichtigt. Gewöhnlich wird eine Leibrente mit dem Leben einer einzigen Person verknüpft. Das nennt man eine einfache Leibrente. Eine Rente kann aber auch auf das Leben mehrerer Personen gestellt sein. Das wird als Verbindungsrente bezeichnet. |
Rz. 76
Als Handwerkszeug erhält der Benutzer dieses Buches
▪ |
Tabelle 1: Durchschnittliche Lebenserwartung (Tabelle 1, Anlage 15 im Anhang, vgl. § 14 Rdn 19) und |
▪ |
Tabelle 2: Zeitrente (Tabelle 2, Anlage 15 im Anhang, vgl. § 14 Rdn 20). |
Mit Hilfe dieser Tabellen kann der Leser Näherungswerte seines gesuchten Barwertes errechnen.
Rz. 77
Mit den Tabellen der einschlägigen Literatur (z.B. Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Auflage 2020) kann der Anwalt jetzt durchaus derartige Näherungswerte errechnen. Ihm werden niedrige Zinsfüße – unter 4 % – nicht mehr vorenthalten (seit der 13. Auflage 2020 des Werkes von Küppersbusch findet sich jetzt auch endlich der Zinsfuß von jedenfalls 2,5 %, der jedoch immer noch zu hoch ist!).
Rz. 78
Will der Anwalt ohne große Mühen richtig rechnen, ist die Software "capitalisator" (www.capitalisator.ch) oder Pardey, Berechnung von Personenschäden, 5. Auflage 2020 inkl. Onlinezugang zu einem EDV-Kapitalisierungsprogramm zu empfehlen. Mit Hilfe dieses eleganten und einfach zu bedienenden Handwerkszeuges kann er jede Art von Kapitalisierung durchführen. Er wird durch die Maske Schritt für Schritt geführt. Durch die verschiedenen Wahlmöglichkeiten (z.B. sofort beginnend oder aufgeschoben, temporär oder lebenslänglich, auf ein oder zwei Leben) erhält er gleichzeitig eine Art Checkliste. Capitalisator.ch und Pardey haben stets die neuesten deutschen Sterbetafeln hinterlegt. Außerdem sieht es einfach professioneller aus, wenn ein Anwalt solche Berechnungen per EDV durchführt.
Rz. 79
Beispiel
Ein monatlicher Haushaltsführungsschaden einer heute 40-jährigen Frau in Höhe von 300 EUR soll lebenslang bei einem Zinsfuß von 3 % kapitalisiert werden (Tabelle I/8 bei Küppersbusch/Höher, 13. Auflage 2020):
300 × 12 × 24,068 = 86.644,80 EUR
Der Unterschied bei einer Rechnung mit einem Zinsfuß von 4 % ist schon beachtlich:
300 × 12 × 20,457 = 73.645,20 EUR (bereits 12.999,60 EUR weniger!)
Bei dem von Küppersbusch für die Assekuranz empfohlenen Wert von 5 % ergibt sich:
300 × 12 × 17,668 = 63.604,80 EUR
Dem Geschädigten entgehen dadurch gegenüber einer Berechnung mit einem Zinsfuß von 3 % stattliche 23.040 EUR!
2. Lebenslängliche Leibrente
Rz. 80
Mit einer lebenslänglichen Berechnung kann z.B. bei "vermehrten Bedürfnissen" und "lebenslangem Pflegebedarf" gerechnet werden, mit Einschränkungen bzw. Abzügen auch beim "Haushaltsführungsschaden"
Rz. 81
Dabei muss ggf. dem Umstand reduzierter Lebenserwartung des Verletzten Rechnung getragen werden. Obwohl die Lebenserwartung Schwerverletzter in den letzten Jahren aufgrund verbesserter...